Ich kämpfe

Ich kämpfe. Kämpfe um diese Seite der Welt. Schlage meine Krallen in das Lachen des Tages, denn ich fürchte die Schatten der Nacht. Sie wollen mich holen, doch so leicht will ich es ihnen nicht machen. Ich kämpfe, um jeden einzelnen Tag.
Alles begann mit der alten Frau. Ihrem zittrigen Lachen. Ihren gelben Fingernägeln mit den schwarzen Rändern, als habe sie sich aus dem Sarg gekratzt. Ihren wimpernlosen, rotgeränderten Augen, die mich so ansahen, als ob sie mehr über mich wüssten, als ich je ahnen würde. Zwei bodenlose modrige Brunnen. Wenn ich es am wenigsten erwartete, stand sie neben mir, hinter mir, und starrte mich an. Ich floh sie nur, um ihr an der nächsten Straßenecke, an der nächsten Bushaltestelle wieder zu begegnen. Sie verfolgte mich. Schließlich zog sie in die Nachbarwohnung. Von jetzt an würde sie mich im Auge behalten. Ich wusste es.
Wäre ich damals doch nur geflohen! Aber ich dachte, ich könnte mich wehren. Und sie ließ mir keine Wahl.
Ihr Genick brach wie ein morscher Ast. Seitdem spüre ich ihre dürren, welken, kalten Finger auf meinem Arm. Höre ihr böses Kichern. Ich war ihr nicht entronnen. Sie hatte mich in die Falle gelockt.
Dann kam der Junge. Er hatte Zeitungen auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Er glotzte mich an. Ich wusste sofort, dass er mich beobachtet. Seine Augen verfolgten mich, diese intensivblauen Augen. Er trieb sich hier herum, er tuschelte mit den Nachbarn und starrte mich an. Im Vorübergehen fing ich ein paar Wortfetzen auf, er stellte Fragen über die alte Frau, die verschwunden war. Er verbreitete Gerüchte über mich.
Die Nachbarn grüßen mich nicht mehr.
Der Junge war regelmäßig hier. Er warf die Zeitungen ein und glotzte mich an. Jedes Mal. Irgendwann fuhr ich ihm nach. Ich erwischte sein Fahrrad auf der Landstraße. Sprang aus dem Auto, tat besorgt, setzte ihn in meinen Wagen. Sagte, ich würde ihn zum Krankenhaus bringen. Stattdessen fuhr ich zum verlassenen Steinbruch.
Seine Augen quollen ihm aus dem Kopf, als ich ihm die Luft abdrückte. Sie irrten ab, erkannten die alte Frau, die nahe hinter mir stand und deren eisiger Atem meine Nackenhaare nach oben trieb. Ich hörte sie triumphierend lachen, wie eine Krähe, die ihre Beute in den Krallen hält.
Ich sah es ihm an, dass er sie gesehen hatte, dass er mein Geheimnis nun kannte. Sein toter Blick aus diesen großen blauen Augen kroch mir ins Gehirn und setzte sich da fest. Auch dann noch, als ich ihm diese Augen aus dem Kopf gedrückt hatte. Er glotzte mich an. Von der anderen Seite. Immer wenn ich die Augen schloss.
Von nun an stand er hinter der Alten, deren geborstenes Kichern ich nicht mehr zum Verstummen bringen konnte.
Dann kam der schwarze Hund. Er trottete durch die Gegend, ließ sich von jedem streicheln. Der Junge löst sich manchmal von mir und läuft zu ihm herüber. Ich glaube, es ist sein Hund.
Abends stand das Tier auf meiner Türschwelle und knurrte mich an, mit gesträubtem Fell. Schnappte nach mir. Der Junge hat den Hund gegen mich aufgehetzt. Bestimmt! Jeden Tag war dieser verdammte Köter vor meinem Hauseingang wie ein Höllenhund, kaum dass ich mich an ihm vorüber traute. Dann warf ich ihm einen Fleischbrocken zu. Er verendete über Nacht.
Seitdem verfolgen sie mich zu dritt. Ich finde keine Ruhe mehr. Schrecke aus dem Schlaf, den mir nur die Erschöpfung schenkt. Sie lauern im Dunkeln, knurrende, kichernde, glotzende Schatten. Sie jagen mich. Ich renne und renne, doch ich kann ihnen nicht entrinnen. Der Hund schnappt nach meinen Knöcheln.
Letzte Nacht hat er mich erwischt. Seit heute Morgen ist mein Bein vom Fuß bis zur Wade taub und schattenfarben. Und es breitet sich aus.
Ich kämpfe noch. Aber ich fürchte, jetzt haben sie mich. Ich kann ihnen nicht entgehen und sie wissen es. Sie haben Zeit. Ich ertrinke in ihren Schatten. Versinke. Sie ziehen mich hinüber, Stück um Stück. Darum kralle ich mich fest in dieser Welt. Doch ich spüre, wie ich abrutsche. Wie ich immer weiter zu ihnen gleite. Wie meine Kräfte schwinden.
Mein Mund ist grau. Ich schreie lautlos.