Blumen für die Damen

„Monique!“ seufzte Aaron Gerber sehnsuchtsvoll, als er erwachte. Voller Wärme dachte er an seine neue Kollegin. Seine Lippen formten ihren Namen noch einmal, beinahe unbewusst: „Monique!“ Genüsslich ließ er sich die Laute auf der Zunge zergehen wie ein sahniges Stück Schokolade. Er sah sie vor sich mit ihren langen blonden Haaren, die wie goldene, glänzende Flügel über ihren Schläfen lagen. Ihre schlanke Gestalt schwebte auf hohen Absätzen durch die Büros und hinterließ einen blumig-süßen Parfümgeruch, als ob ein Abbild ihrer Präsens im Raum zurückgeblieben wäre.

Mechanisch brachte Aaron Bad und Frühstück hinter sich. Dann brach er zur Arbeit auf.

Aaron war überpünktlich, aber Monique kam wie immer ein paar Minuten zu spät. Aaron ließ sie in sein Büro bitten, nur um sie sich mit ihrem süßen französischen Akzent entschuldigen zu hören: „Mein Auto schprang nischt ahn, tut mirr la-id!“

In seiner Mittagspause bestellte er im nächsten Blumenladen einen Präsentkorb für sie. Da er noch einen eiligen Termin einhalten musste, schrieb er Moniques Adresse in großer Eile auf: Frau M. Leblanc, Beierstr.12. Auch einen Brief und einen Flakon ihres Parfüms ließ er da.

Monique Leblanc war inzwischen schon auf dem Heimweg und sehr zufrieden mit sich. Ihr Chef fraß ihr jetzt schon aus der Hand. Wie dumm Männer doch waren, dachte sie selbstgefällig. Es war alles so einfach: Lange blonde Haare, französischer Akzent, hohe Absätze, ein gutes Parfüm, und schon konnte sie mit ihnen machen, was sie wollte! Sie genoss dieses Machtgefühl mit jedem Tag mehr. Zu Hause erwartete sie eine Überraschung: ein Korb stand vor ihrer Tür im 14.Stock. Freudig hob sie ihn auf und nahm ihn mit in ihre Wohnung. Als sie den Korb aber öffnete, entströmte ihm ein so ekelhafter Gestank nach fauligem Fisch, dass sie sich beinahe übergeben hätte. Empört und verärgert warf sie den Korb samt Inhalt in ihre Mülltonne im Keller. Der Gestank hing noch lange in ihrer Wohnung und ihre Laune blieb im Keller.

Am nächsten Tag machte Monique einen sehr missgelaunten Eindruck auf Aaron. Um sie wieder aufzumuntern, fragte er sie: „Wie hat Ihnen denn mein Geschenk gefallen?“ Diese unschuldige Frage verwandelte das sanfte Geschöpf Monique in eine wütende Furie. Rot vor Empörung kreischte sie: „Sie waren das also! Finden Sie das witzig?! Ich nicht!“

Erschrocken fragte Aaron: „Habe ich vielleicht nicht den richtigen Duft ausgewählt?“

Wenn irgend möglich, nahm Moniques Gesicht jetzt einen noch dunkleren Rotton an und ihre Stimme klang hysterisch, als sie schrie: „Nie wieder sollen Sie mir etwas schicken, hören Sie?“ Jede Wärme und Zurückhaltung, auch der süße Akzent waren aus ihrer Stimme verschwunden.

Aaron war verwirrt und tief enttäuscht. Unmöglich konnte sie sich über sein Geschenk so geärgert haben. Es musste etwas im Blumenladen schiefgelaufen sein! Kurz entschlossen rief er dort an und fragte, an welche Adresse sein Präsentkorb gegangen war. „Der ging an Frau M.Leblanc, Buerstr.12. Es liegt übrigens auch ein Brief für Sie hier“, erwiderte die Blumenfrau.

Verärgert holte Aaron nach der Arbeit den Brief ab, riss ihn ungeduldig auf und las:

„Lieber unbekannter Herr Gerber!

Vielen Dank für die Blumen, das Parfüm und den netten Brief. Da ich Sie aber nicht kenne, nehme ich an, dass sie sich in der Adresse geirrt haben. Weil Sie mir aber so viel unerwartete Freude gemacht haben, lade ich Sie zu einem Kaffee bei mir ein. Ihre Marion Leblanc.“

Ein netter Brief, fand Aaron und las ihn noch einmal langsam durch. Jedes freundliche Wort tat ihm jetzt doppelt gut.

Monique hatte es sich gerade zu Hause gemütlich gemacht, da klingelte es an ihrer Haustür. Als sie mürrisch die Tür öffnete, grinste das runzlige Gesicht ihrer Nachbarin durch den Türspalt. „Wissen Sie zufällig, wo mein Korb mit Fischabfällen für meine Katzen geblieben ist?“ fragte sie freundlich. „Ach, ihnen gehört dieser stinkende Korb?! Er ist in meiner Mülltonne, aber Sie können ihn gerne wieder haben!“ sagte Monique spitz.

„Ich bitte darum!“ antwortete die Nachbarin pikiert.

Am Spätnachmittag fuhr Aaron zu Monique, um das Missverständnis aufzuklären. Ihre Wohnungstür im 14.Stock fand er sofort. Auf sein Klingeln öffnete ihm eine Frau mit unordentlichen blonden Haaren und einem weißen, nachlässig geschlossen Bademantel. Ein Handtuch war um ihren Nacken gelegt. Ihr ausdrucksloses Dutzendgesicht war noch nass vom Duschen, ihre Haare seltsamerweise aber trocken. „Ich möchte Monique sprechen!“ stotterte Aaron verwirrt. „Moment!“ rief die Frau mit ihm wohlbekannter Stimme. In die Tiefen der Wohnung enteilend, zog sie das Handtuch aus ihrem Nacken und - riss sich dabei eine blonde Perücke vom Kopf, die ihre raspelkurzen, schwarzen Haare freigab! Verstört trat auch Aaron drei Schritte zurück. Plötzlich schien ihm alles an ihr so aufgesetzt wie die Perücke: der sanfte Charakter, der Akzent und auch das aufgeschminkte Gesicht! Entsetzt über diese unerwartete Verwandlung trat Aaron panikartig den Rückzug an, während eine überraschte Monique ihm nachstarrte.

Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, fiel Aaron ein, dass er noch eine Einladung zum Kaffee in der Tasche hatte. Er suchte die nächstgelegene Konditorei auf und kaufte vier Stücke seines geliebten Apfelkuchens. Dann fuhr er zu Marion Leblancs Wohnung und läutete.

Diese öffnete ihm und sah ihn zunächst fragend an. Dann glitt ein verstehendes Lächeln über ihr Gesicht. „Sie waren das mit den Blumen?“ Er nickte nur. Ihre Stimme klang warm und voll. Blonde, kinnlange Haare umspielten ihr Gesicht. Sie trat graziös zur Seite, um ihn einzulassen.

Er genoss ihren Kaffee und sie zeigte sich von seinem Apfelkuchen begeistert. Aaron fühlte sich wie in einem schönen Traum. Und morgens um sieben war die Welt für ihn wieder in Ordnung.