Haifa Bay

Ich hielt den Finger auf dem Auslöser. Reflexartig duckte ich mich bei der gewaltigen Explosion hinter den Wagen. Ihr blutiger Kopf rollte mir direkt vor die Füße. Der entschlossene Blick war leer geworden, doch ihre Schönheit ließ sich noch erahnen. Professionell genug richtete ich meine Kamera auf sie und ... Nein ich konnte nicht. Meine Hände begannen zu zittern und Tränen pressten sich ihren Weg. "Lama? Lama!" schrie David und richtete wütende hebräische Worte an diese Typen in ihren schwarzen Anzügen, denen wir den halben Tag gefolgt waren. Ich verstand zwar kein Wort, aber die Gewehrsalve in unsre Richtung war deutlich. Schnell drückte ich doch noch den Auslöser, griff David am Arm und verschwandt mit ihm im Dunkel des Hafens. Die Typen folgten uns nicht.
Zurück in der Redaktion diktierte sich David seine ganze Wut von der Seele. Der Bericht würde sicher wieder viel zu lang werden. Doch es sollte wenig helfen. Auf dem Bildschirm flimmerten die Bilder von eben' an mir vorrüber. Den Telefonhörer klemmte ich zwischen Ohr und Schulter, das Headset war wieder mal verschwunden. "Eine Tote hier in Haifa. Ja, starke Bilder. Ja, Exklusiv! Ja, wahrscheinlich ein Geheimdienst... Wollt ihr nicht?! Warum!" Claudia, unsere deutsche Praktikantin brachte mir einen Kaffee. "Es ist wie verhext. Zwölf Redaktionen und alle lehnen die Story ab." Als Antwort erhielt ich nur ein würgen. Das Bild von dem abgerissenen Kopf war geade auf dem Monitor.
Eigentlich hatte dieser Tag ganz verheißungsvoll begonnen. Mit 'cafe im halaf' - also Kaffee mit Milch im Beth-Cafe unten an der Promenade. Bei jedem Schluck blickte ich in ihre braunen Augen, die mal spitzbübisch, mal voller Ernst und mal tadelnd über den Rand ihrer Tasse sahen. "Lass die Finger davon, ich habe Angst um dich!" bat mich Lena. "Ich will hier nicht verwitwet sitzen." Wir mußten lachen. Sie war zwar der Grund, dass ich nach Israel gegangen bin und wir waren sehr, sehr gute Freunde, aber nach heiraten, geschweige denn einer Beziehung stand uns beiden nicht der Sinn. "Lena, hier läuft irgendein krummes Ding. Und es ist mein Job krumme Dinge ans Licht zu bringen. Es kann auch nicht sein, dass hier irgendwelche Typen wie aus dem Nichts auftauchen und hinterher sind wieder ein paar Studenten wie vom Erdboden verschluckt. Warum?" Ihre braunen Augen wurden traurig und dann wieder streng. "Und was ist wenn du verschwindest?"murmelte sie patzig. "Hey, wie lange mache ich diesen Job? Bin ich jemals ...?" Ihr Kopf schmiegte sich an meine Schulter "Wahrscheinlich hast du recht. Aber kannst du nicht mal schönere Themen fotogarfieren. Hey, hier gibt es soviel zu sehen, zeig doch alles mal von der schönen Seite. Probleme haben wir hier doch genung. Du bist so deutsch. Lass die Probleme, Probleme sein und hab Spaß!" Ich mußte versprechen und tat es auch gerne. Dies würde die letzte heiße Story, zumindest für dieses Jahr.
 Jetzt kam was kommen mußte. Shoppen. Lena shoppte gerne, nur nicht so wie all die anderen Frauen. Mode, Schuhe? Fehlanzeige! DVDs und Bücher. Also auf zu Salomon, der hatte alles auf englisch. Lenas hebräisch war noch schlechter als meins.

Die übliche Taschenkontrolle vor dem Laden erlebte ich nicht mehr. David klang hektisch am Handy. Blitzschnell drückte ich Lena zum Abschied, sprang in den Wagen und raste über die Schnellstraße zum Ofira Garden. David war völlig aufgelöst, zum erstenmal gab es einen Zeugen. Eigentlich gab es schon mehrere, nur die Polizei hatte sie zu erst befragt. Dannach schwiegen sie für gewöhnlich. Diesmal war mein Kollege erster. Zufall. Esther, eine Journalistik-Studentin traf sich oft mit ihm. Es hatte auch kaum jemand in Israel eine bessere Schreibe, eine spitzere Feder oder mehr Durchblick. David war die Nummer eins. War! Zu viel Rotwein brach ihm das Genick. Esther wollte lernen und werden wie er. Ich hoffte nur ohne Rotwein. Die beiden besprachen eine Kolumne. Ein Schrei von der anderen Seite des Parks riß sie aus ihren Gedanken. Geistesgegenwärtig rannte David mit eingeschaltetem mp3-recorder los. "Vier! In schwarzen Anzügen! Die haben sie einfach weggezerrt!" Das kannten wir, so viel war durchgesickert. Eigentlich nur als Gerücht. Aber dieser alte Mann hatte auch das Auto gesehen. "Schwarz! Wie die Leute und keine Kennzeichen!" Kein Nummernschild? Wer bitte fährt in diesem Land mehr als 100 Meter ohne? "Ein Ford Bronco, neu! Es war eine Frau dabei! Die hat ihre Maske verloren!" Weiter kam unser Zeuge nicht. Eine Polizeistreife unterbrach, schubste David weg, als ob sie wüßten ... Warum eigentlich? Wo kamen die Bullen so plötzlich her? "Die waren einfach da!" wunderte sich David als ich endlich im Park ankam. Wie zum Teufel wußten die von dem Zeugen?

Unser Zeuge war also weg, von dem würden wir nichts mehr hören. Auf dem Weg zurück in die Redaktion, so nennen wir großspurig meine Wohnung, vor uns ein schwarzer Ford Bronco - mit Nummernschildern. Dennoch brauchte ich meinen Partner nicht fragen. Wir folgtem mit etwas Abstand bis zum Shopping-Center in der Sderot James de Rotschild. Eine junge Frau steigt aus, in schwarz. Im kleinen Schwarzen um genau zu sein und half einem viel älterem Mann aus dem Wagen. Das war wohl nichts. In der Redaktion auch nichts neues. Claudia hatte viel Langeweile und unser Büro mit Sternen und Kerzen geschmückt. Bald ist Weihnachten. Immerhin war die Post da. In einem großen Umschlag ohne Absender steckte ein Röntgenbild. Das es ein Kopf war konnte ich noch erkennen. "Gib mal her" flötete unsere Praktikantin. Endlich kam ihre Stunde. Sie war ursprünglich Röntgenassistentin und kannte sich aus. "Da hatte einer keine Ahnung. Selten so ein schlechtes Bild gesehen. Na, jedenfalls ist der Schädel zertrümmert. Und es dürfte eine Frau sein." Seit wann sieht man das auf einem Röntgen? "Die haben die Halskette nicht abgemacht." Ja, klar nun sah ich es auch. Ich griff noch einmal ins Kuvert. Ein Zettel war drin. "13 Uhr Ofri Garden, 20 Uhr Haifa Bay" 
Wir waren mehr als pünktlich. Schließich ist der Hafen und nichts anderes ist mit Haifa Bay gemeint, nicht so ganz klein. Kann gut mit Bremen mithalten. Blaue Container-Kräne, Stahlkisten überall. Wir hatten Glück. Der Ford stand wie bestellt am ersten Pier. Wenig später erschien sie im Regen. Eine junge Frau, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Es regnete in Strömen. Ein geparktes Auto bot uns genug Sichtschutz. "Mit mir nicht!" schrie sie. Vier schrwarz gekleidete sprangen aus dem Bronco. Gewehre mit Laser in der Hand. David übersetzte das hebräisch so gut es ging. Sie wolle keine Techno-Musik hören und niemand könne sie dazu zwingen. David hatte doch zuviel Rotwein getrunken. Rot waren auch die Punkte der Laser auf ihrem Körper. Dann stockte unser Atem, als sie ihr Gesicht kurz zu uns drehte. Es war Esther. Aber warum zeigte sie diesen Schlüssel in der linken Hand? Und was war das für ein Ei in der rechten? Den Rest kennen sie. "Ja, den kenne ich!" Detective Rosenberg nickte. "Und ich vergesse ihn gleich und sie besser auch! Fotografieren sie doch lieber was schönes. Denn Negev bei Sonnenaufgang zum Beispiel." Ich fragte erst gar nicht ob ich die Speicherkarte mit meinen Bildern wieder haben könnte. Die Antwort war klar.

Es fröstelte mich beim verlassen der Polizei-Station um Mitternacht. Hier lief etwas ganz schief. Warum hatte die Polizei unser Büro gestürmt und die Bilder beschlagnahmt? Die dunklen Straßen waren menschenleer um diese Zeit. Nur ein Auto ohne Licht mir am Kunstmuseum entgegen. Ein dunkles. Schwarz. Der Laser zielte zwischen meine Augen ehe es schwarz wurde. Etwas warmes spürte ich auf der Stirn. "Was ist los? Hast du schlecht geträumt?" Lena war in mein Zimmer gekommen und strich mir über den Kopf. "Du mußt aufstehen! Anachnu tassim le israel!" Ja, heute sollte es losgehen unser Urlaub in Haifa. Wir mußten zum Flughafen nach Frankfurt. Und ich liege hier, penne und träume so einen Mist. Die Uhr auf dem Handy zeigt kurz vor 6 und eine neue SMS, Nummer unbekannt: "8pm, Haifa Bay, bring your camera, Shalom, David" David? Was für ein David?