Winterritter

Der nördliche Teil des Parks, hinter den Bahnschienen, ist verwildert und es verirren sich auch an schönen Tagen nicht ganz so viele Menschen hierher. Hinzu kam, dass ich diesen Freitag nicht arbeiten brauchte. So hatte ich die Pfade fast für mich allein.

Die Sonne stand noch rot über dem Horizont und tauchte die Welt in ihr kräftiges Licht. Die Luft war noch frisch von der Nacht und Tau lag auf den Blättern, wo das Licht der Sonne sie noch nicht erreicht hatte. Feuchtes Laub, das noch vom letzten Herbst zeugte, knirschte unter meinen Joggingschuhen. Es war ein wenig kühl an den nackten Armen und Beinen, aber nach ein paar Metern war ich warm und genoss den Lauf.

Bis ich den Hund sah, der wie verrückt an einem Baum herumsprang und sich die Lunge aus dem Hals kläffte. Das Frauchen kam angerannt und rief heiser nach Herbert. Sie schaute mich kurz an und grinste verlegen.

"Hat sich losgerissen." Sie wurde sogar rot, als sie das sagte. Dann griff sich nach der Leine, die noch am Halsband des Köters festgemacht war, und zog den wild gewordenen Dackel hinter sich her. Obwohl es nur ein kleines Tier war, hatte sie sichtlich Mühe ihn fortzuzerren. Ich schaute ihr einen Moment nach und wollte schon weiterlaufen, als ich mich fragte, warum der Hund ausgeflippt war.

Mit einem großen Schritt stand ich an dem Baum, der die Spuren der Attacke trug, aber auf den ersten Blick konnte ich nichts erkennen und wollte auch nicht erwischt werden, wie ich einen Baum umarmte. Dann sah ich das Astloch. Wäre der Hund größer gewesen, er hätte es erreicht, denn es lag kaum einen Meter über der Erde. Im ersten Moment sah ich nur die Schatten in der Baumhöhle und dann ein kurzes Funkeln, es schien etwas Metallisches zu sein. Ich zögerte kurz, wer greift schon gern in irgendwelche Waldlöcher, aber soweit ich weiß, gibt es im Bürgerpark keine gefährlichen Tiere - und ganz bestimmt keine, die in engen dunklen Ecken auf ihre Opfer lauerten.

Ich steckte meine Hand hinein und taste das Holz ab, bis meine Finger den Gegenstand spürten. Er war kühl und erstaunlich schwer.

"Autsch."

Ich zog schnell meine Hand heraus und mit ihr den Gegenstand. Eine kleine Figur. Nach dem Gewicht und der Kälte musste es Metall sein, aber die Züge waren samten und fein gezeichnet. Und sie hatte Schmetterlingsflügel, an der Kante klebe ein Blutstropfen, sie waren scharf wie Rasiermesser.

Den verletzten Zeigefinger steckte ich in den Mund. Mit der anderen Hand hielt ich die Figur hoch, sie war kaum größer als mein Daumen vom Nagel bis einschließlich Ballen. Die Schmetterlingsflügel so groß wie die Handfläche. Der rechte Flügel hatte einen Knick, aber ich konnte ihn nicht richten. Die Flächen waren nicht dicker, als ein Stück Papier, aber waren fest wie Stahl. Und sie waren blau, schimmernd und rein, wie Licht, nicht wie Farbe. Adern zogen durch die Schwingen immer feiner werdend in einem Muster, das an die Äste eines Baumes erinnerte oder an Sprünge in einer Fläche aus blauem Eis.

Die Augen waren zu groß und stärker geneigt, als bei einem Europäer, sie waren geschlossen, lange silberne Wimpern lagen auf den Wangen. Und die Ohren waren spitz. Die Lippen hellblau. Die Haare waren fast weiß mit einem Schimmer von Silber und grünen Strähnen, sie fühlten sich wie Seide an.

Die Puppe war so exquisit gefertigt, dass sie ein Vermögen wert sein musste. Wer verstecke so etwas in einem Baumstamm?

Die Kleidung der Elfe, denn mit den Ohren und den Flügeln konnte sich nichts anderes sein, war grob. Irgendwelche Naturfasern, die ich nicht identifizieren konnte und zierliche Lederriemen, die sie hielten. An der Seite trug sie eine Schwertscheide, aus welcher ein winziger Knauf schaute, das ganze Schwert konnte nicht länger sein, als eine Stecknadel.

Bestimmt vermisste ein Kind das wertvolle Spielzeug. Ich würde es am Montag zum Fundamt bringen. Ich wickelte die Elfe in ein Taschentuch und steckte sie in die Tasche meiner Shorts. Dann setzte ich meine Runde fort.

Ein Schäferhund hätte mich fast angefallen, aber sein Herrchen befahl ihn mit scharfen Worten zurück. Der Hund zögerte und beobachte knurrend, wie ich vorbeizog, währen der Mann ihn an der kurzen Leine hielt.

Zuhause warf ich die durchgeschwitzten Klamotten in die Ecke neben der Waschmaschine, wo schon ein Haufen Wäsche lag, der gewaschen werden sollte und genoss die Dusche. Den Fund im Wald hatte ich völlig vergessen. Erfrischt, munter und wach musste dies ein großartiger Sonntag werden.

Von wegen.

 * * *

Die Tür des Kühlschranks stand weit offen. Die Figur der Elfe stand auf der Arbeitsplatte über dem Kühlschrank, als sich nur mit einem Handtuch um die Hüften in den Raum kam. Ich hatte sie da ganz sicher nicht hingestellt. Erst als sich sie sah, kam die Erinnerung wieder, dass ich sie vorhin eingesteckt hatte. Sie hatte mir den Rücken zugewandt und die Flügel, die ich vorhin nicht hatte bewegen können, schlugen auf und zu. Ich spürte den Luftzug durch die ganze Küche.

Als ich mich näher heranschlich, sah ich das das Wesen einen Jogurt mit seinem Schwert aufgehackt hatte und den Inhalt mit beiden Händen in den Mund schaufelte. Obwohl der Becher drei mal so groß war, wie ihr Körper war er schon halb leer. Selbst wenn ich in Betracht zog, dass ein großer Teil des Buttermilchjogurts über die Arbeitsplatte verteilt war, musste das Ding einen großen Appetit haben.

Und es hatte seinen Flügel gerichtet. Mit zwei Streichhölzern und einer Wäscheklammer. Fasziniert machte ich noch einen Schritt näher. Nur diesmal hörte es mich.

In einer einzigen Bewegung drehte es sich um und zog das Schwert. Die kleinen Füße verschmierten den Jogurt in einem Kreis. Mit der freien Hand wischte es sich den Mund ab.

"Halt Unhold. Ichalsie durchbohrt Deinen Leib, wenn Du noch einen Schritt tust." Die Stimme war hell und klar und kräftig, dafür, dass sie aus so einem kleinen Körper kam.

Ich wusste nicht, ob ich lachen sollte, denn bedroht fühlte ich mich nicht von der winzigen Spitze ihrer Nadel. Ich unterließ es.

"Was bist Du?" fragte ich statt dessen.

"Mein Name ist Prinzessin Frarka. Knie vor mir." rief sie und die Flügel klappten mit einem Donnerschlag zusammen, der Jogurtbecher rollte einige Zentimeter zurück.

"Einen Moment." ich hob den Zeigefinger.

Ich ging in den Flur und schnappte nach Telefonbuch und Telefon. Beides trug ich in die Küche und zum Kuchentisch.

"P ... P ... P." murmelte ich und spürte ihren Blick in meinem Rücken.

Ein Blick zurück zeigte mir Frarka mit den Händen in die Hüften gestemmt, das Schwert noch immer ich ihrer Hand. Die Schmetterlingsflügel klappen weiter in ihrem eigenen Rhythmus und die eisgrünen Augen verfolgten jede meiner Bewegungen.

"Ich habe gerade eine Halluzination."

"Mhm." hörte ich auf der anderen Seite. Das Wesen tappte ungeduldig mit dem Fuß, mit jedem Tap spritzte die weiße Masse über die Arbeitsplatte.

"Was mach ich jetzt?"

"Ich kann Ihnen einen Termin geben. Donnerstag, den 22ten?"

"Das ist ja erst in zwei Wochen."

"Hören Sie auch Stimmen?"

"Ja."

"Befehlen sie ihnen irgendetwas Verrücktes zu machen?"

"Bis jetzt noch nicht." ich warf einen Blick zum Kühlschrank. Sie hatte die Klammer vom Flügel genommen und ließ die Flügel fester schlagen. Der Jogurt klatschte gegen die Fliesen über dem Herd und sie rutschte ein paar Zentimeter nach vorn, obwohl sich die kleinen Füße in die Schmiere stemmten.

"Nein. Noch nicht."

"Wenn die Stimme damit anfängt, rufen Sie wieder an, ansonsten sehen wir uns in zwei Wochen." Dann war die Leitung tot. Nur das Freizeichen lachte mich noch aus. Ich sah mich zu der Halluzination um.

"Fertig?" fragte sie.

"Ich muss verrückt geworden sein." sagte ich ihr.

"Ich auch, aber ich habe keine Wahl. Komm her."

Ich folgte ihren Worten, nicht ganz sicher, ob das nicht schon der erste Schritt ins Verderben war.

Ich schloss die Kühlschranktür und ging in die Hocke, bis wir auf Augenhöhe waren. Sie sah mich an, den Kopf ein wenig auf die Seite gelegt, die Ohren drehten sich mal in diese, mal in jene Richtung. Sie schien sehr lebendig zu sein, gar nicht wie die Puppe, die ich zuerst vor mir zu haben schien.

"Nimm das." sie hielt mir ihre Stecknadel entgegen.

Zuerst hatte ich das winzige Teil nur zwischen Daumen und Zeigefinger, aber es war viel zu schwer um es zu halten und es wuchs. Erst hielt ich es in einer Faust, dann musste ich aufstehen und die zweite Hand dazu nehmen immer größer wurde das Schwert, bis es fast anderthalb Meter lang war, ohne den Griff, auf dem ich viel meiner Hände hätte unterbringen können. Es sackte zu Boden, weil ich nicht die Kraft hatte, es zu halten. Es war eiskalt, als hätte der Stahl über Stunden im Gefrierfach gelegen.

Und es schnitt durch Teppich und Fliesen und den Betonboden darunter. Fasst trennte es mir die Zehen des linken Fußes ab, aber mit Zitternden Armen stoppte ich die Bewegung kurz vor der Amputation.

"Verdammt." fluchte ich und versuchte das Schwert aus dem Boden zu ziehen, aber es war einfach zu schwer.

"Musst Du was kompensieren?" lachte Frarka.

Ich wurde rot und war ihr einen Seitenblick zu.

"Der letzte Träger Ichalsies war etwas größer, wie Du. In einem Augenblick passt es sich an." erklärte sie.

"Der letzte Träger?" mir trat der Schweiß auf die Stirn, während ich versuchte, die Monsterklinge zu halten. Die Müllers unten würden mir was Husten, wenn ihm das Toupet vom Schädel Säbelte.

"Ein Troll. Hat Ichalsie als Einhänder geschwungen." Erklärte sie. Sie saß auf dem Pfefferstreuer und beobachtete jede meiner Bewegungen. "Schade um ihn, war nicht der hellste, aber ganz passabel als mein Ritter, nicht so wie die Anderen."

Ich spürte, wie sich etwas tat, wie die Klinge anfing sich zu verändern, ein elektrischer Strom ging mir durch die Arme und dann den ganzen Körper. Das Handtuch um meine Hüften begann zu rutschen, aber ich hatte immer noch beide Hände voll.

"Die Anderen."

Frarka schlug wieder mit den Flügeln. "Meine Ritter halten sich irgendwie nicht so lange. Zwerge sind zwar gemein, aber zu kurz. Trolle stark aber doof. Vielleicht hab ich ja mit Dir mehr Glück."

"Danke." endlich konnte ich eine Hand vom Griff nehmen und nach dem Handtuch greifen, es hing schon auf halb acht.

"Gern geschehen. Es ist eine große Ehre die Bürde des Winterritters auf sich zu nehmen."

"Hä?"

"Ich bin Frarka, die Winterprinzessin, und Du trägst Ichalsie. Du bist jetzt mein Winterritter."

"Ho, nicht s schnell."

"Trägst Du die Klinge?"

"Ja." musst eich widerwillig zugeben.

"Dann ist es so." Sie öffnete wieder die Kühlschranktür und packte die Milchtüte. "Hast Du Kekse?"

"Kekse?"

"Mein Flügel muss heilen. Milch und Kekse?"

Ich war ganz benommen von den Ereignissen und war einen Seitenblick auf das Telefonbuch. Im Moment hörte sich die Idee, ein Paar Tage in der Gummizelle zu verbringen ganz verlockend an. Ich suchte die Kekse aus dem Hängeschrank und stellte die Packung neben die Milch.

"Yam. Die guten Schokokekse."

Frarka riss beide Packungen auf und soff und fraß, dass ich ihren Bewegungen kaum folgen konnte. Nach wenigen Augenblicken war alles leer, bis auf wenige Krümel, die in der Milchlake schwammen.

"Einen besseren Ritter werde ich wohl nicht finden. Also musst Du genügen."

Ich stemmte die Hände in die Hüften und das Handtuch rutschte noch ein paar Zentimeter.

"Die Sommerkönigin hat mein Reich überfallen. Ich brauche Deine Hilfe, es zurückzuerobern."

"Großartig. Hat Sommer auch einen Troll als Ritter."

"Nein."

Ich atmete erleichtert aus.

"Sie hat eine Armee."

Das Handtuch rutschte zu Boden.
Ich hatte mir Jeans und T-Shirt angezogen und saß der Elfe jetzt am Küchentisch gegenüber, sie war die ganze Zeit um mich herum geschwirrt, damit ich sie nicht wieder vergesse. Jetzt saß Frarka auf der Obstschale und versuchte, nicht vom Apfel zu rutschen.

„Wir müssen nur zur Quelle der Zeit, da kann ich meine Magie wiedererlangen.“ erklärte sie gerade.

„Ist die hier in der Nähe?“

Das Schwert Ichalsie lag vor mir auf dem Tisch. Prinzessin Frarka wollte, dass ich es nicht aus den Augen ließ.

„Mehr oder weniger, wir müssen ins Winterreich und dann zum Fluss der Zeit.“

„Na dann los.“ Hörte ich mich sagen, denn viel schlimmer konnte es ja nicht mehr werden. „Soll ich Dich wieder in die Tasche stecken?“

Sie schüttelte sich. „Igitt. Nein. Wie kommst Du auf sowas.“

„Als ich Dich gefunden habe …“

„War ich noch benommen, weil mit die Osrira die Sommerprinzessin in diese Welt geworfen hat. Miststück.“

„Du warst wie Stein.“

„Bin immer noch etwas verspannt um die Flügelansätze, aber ich fühle mich wieder kräftiger. Ich finde den Weg.“

Mit den Worten war sie auch schon in der Luft, sauste durch die Wohnung und hinaus durch den Briefkastenschlitz ins Treppenhaus des Altbaus. Ich hätte einfach sitzen bleiben können, aber ihre Energie riss mich irgendwie mit.

Schnell ein paar Schuhe an die Füße, das Schwert in die eine Hand, die Haustürschlüssel in die andere. Nicht gerade die richtige Ausrüstung, für den Krieg der Elfen, aber insgeheim hoffte ich immer noch, aufzuwachen.

Im Flur zischte Frarka ungeduldig hin und her.

„Solltest Du Dich nicht irgendwie unsichtbar machen oder so?“

„Quark, wie soll das den gehen? Und warum?“

„Damit Dich die Menschen nicht sehen.“

„Ach das. Kein Problem. Menschen vergessen Elfen sofort wieder.“

Sie landete auf meine Schulter und krallte sich mit einer Hand an meinem Ohr fest.

„Wohin?“ wollte ich wissen.

„Zurück in den Park. Den Rest mach ich.

Eine halbe Stunde später waren wir zurück zwischen den Bäumen, es war schon etwas mehr los, als heute Morgen, aber überlaufen war es noch nicht. Und Frarka hatte Recht behalten. Wir zogen etwas Aufmerksamkeit auf uns, denn so oft kommt es nicht vor, dass ein Mann mit Elfe auf der Schulter und einem Schwert im Gürtel durch die Straßen läuft. Aber vielleicht vermuteten sie einen Werbegag oder einen Kostümball, oder einfach einen Irren. Ich hätte auf Letzteres getippt. Aber keine schaute uns länger nach oder schien irgendwie verwundert. Ich glaubte der Winterprinzessin, dass die Leute sie vergessen würden, so wie ich es vorhin schließlich auch getan hatte.

Plötzlich wallte Nebel um uns auf. Er schien aus dem Boden zu kommen.

„Geh’ einfach weiter.“ sagte Frarka an meinem Ohr.

Nur ein paar Schritte und der Nebel wurde immer Dichter, kaum konnte man noch den nächsten Baum sehen. Und einen Augenblick später war alles grau um uns herum. Ich spürte, wie die Kälte durch die Kleidung kroch. Ich hätte mir denken können sollen, dass es im Winterreich kühler sein würde.

Wie kalt es wurde, darauf hätte ich mich beim besten Willen nicht vorbereiten können. Klamotten für eine Polarexpedition besaß ich nicht.

Ich klapperte demonstrativ mit den Zähnen und schlotterte am ganzen Körper.

„Sei nich' so'ne Memme. Die Kälte wird dir nichts anhaben, solange Du in meiner Nähe bist.“ sagte Frarka. Das war schwer zu glauben, denn der Atem trieb in Wolken vor dem Gesicht, wenn ich ausatmete und brannte in der Lunge, wenn ich Luft holte.

Die Hände und die Nase schienen vor Kälte zu brennen, bevor sie gefühllos wurden. Nach einigen Augenblicken ließ das Zittern nach, als hätte der Körper aufgegeben, gegen die Kälte zu kämpfen.

Als der Nebel sich verzog, war alles weiß um uns herum. Baume standen dicht. Wir befanden uns wieder in einem Wald, aber er war ganz anders, als der Park, aus dem wir gekommen waren. Die Stämme und Äste waren voll von Eis und Schnee. Dicke Zapfen hingen von jedem Zweig. Der Wald war wilder und lichter als der aus dem wir kamen. Tiere waren keine zu hören. Aber womöglich waren mir bereits nur Trommelfelle eingefroren.

Meine rechte Hand ruhte noch auf dem Griff des Schwerts und sie war angefroren. Ich hätte sie nicht lösen können, ohne Haut zurückzulassen. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Aber mehr passierte nicht. So sehr der Atem auch in der Lunge brannte ich bekam weiter Luft. Die Tauben Hände wurden etwas blau, aber ich konnte die Finger normal bewegen.

„Still.“ flüsterte Frarka auf einmal in mein Ohr. Die waren also auch noch funktionsfähig. Ich blieb stehen und unter meinem Gewicht setzte sich der Schnee knirschend, bis es völlig still wurde und ich bis zu den Knöcheln eingesunken war. Da hörte ich sie auch. Schritte näherten sich. Nicht ein paar, wie von einem Menschen, eher wie ein Pferd im Trab. Rhythmisch schlugen die Hufen in das Eis über den alten Blättern des Waldbodens.

„Heb' das Schwert. Es folgt unseren Spuren. Kein Sinn sich zu verstecken.“

„Großartig. Hab ich schon erwähnt, dass ich bei einem Schwert mit Mühe vorne und hinten auseinanderhalten kann.“ Murmelte ich. „Vorne ist das scharfe Ende.“

„Ichalsie wird Deine Hand führen. Zieh das Schwert.“

Ich tat, wie sie sagte, und nahm auch die zweite Hand an den kalten Stahl des Griffs. Es kam mir ganz natürlich vor das Schwert zu halten, halb erhoben, ein wenig über die rechte Schulter geneigt. Die Augen fest in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Es konnte keine weite Strecke sein, die wir in diesem verwunschenen Wald zurückgelegt hatten, aber die Spur meiner Fußabdrücke zog sich, soweit ich sehen konnte. Und das war Weit in dem lichten Wald.

Und ein Monster kam auf uns zu. Noch war schon sehr nah und raste auf uns zu. Es war hässlich und so groß, wie ein ausgewachsenes Nilpferd. Dicke Hörner, vier Stück, auf einem langen Schädel, der so groß war, wie mein Oberkörper. Die Hauer, so lang wie meine Unterarme, brachen durch den Oberkiefer hindurch. Dampfwolken kamen aus dem aufgerissenen Maul und die Augen glühten rot. Warzen bedeckten den grauen Körper und Hornplatten schoben sich in seinem Lauf übereinander. Wie konnte man so etwas mit einem kleinen Schwert aufhalten. Einen Panzer hätte ich gern gehabt.

Ich verlagerte das Gewicht aufs rechte Bein, um mich fallen zu lassen, wenn das Monster nah genug war. Keine Ahnung, ob das meine Idee war, oder die Ichasies, aber es fühlte sich richtig an, denn selbst wenn ich einen Schlag hätte anbringen können, die schiere Masse hätte mich niedergewälzt. Im Fallen aber konnte ich versuchen, die Ferse zu treffen und das Biest zu Fall zu bringen.

Stoßweise ging der Atem der Bestie, ebenso wie meiner. Wolken aus Nebel, die sich langsam verzogen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Frarka flatterte über meiner Schulter. Ich wollte sagen, dass sie sich verziehen sollte, aber ich hatte keinen Atem dafür übrig. Ich ließ mich fallen.

Und dann sprang das Ding über uns hinweg.

So hoch, dass die Klinge es bei ausgestrecktem Arm nicht hätte erreichen können. Mit einer Schulterrolle, einem angewinkelten und einem gestreckten Bein kam ich in einer einzigen Bewegung aus dem Fall wieder auf die Beine und drehte mich gleichzeitig, um dem Monster wieder das Gesicht zuzuwenden. Ich hatte eine solche Bewegung zuvor nie gemacht, geschweige denn gewusst, dass meine Knochen, das mitmachen würden. Ein kurzer Seitenblick auf das Schwert in meiner Hand. Ich war beeindruckt. Eine Chance hatte ich trotzdem nicht, aber ohne Gegenwehr würde ich nicht zum Frühstück werden.

„Kommt schnell. Sommers Armee ist mir auf den Fersen.“ grunzte das Monster.

Ich verharrte wie erstarrt.

„Beweg Dich.“ sagte Frarka an meinem Ohr und ich fühlte, wie das Adrenalin in meinen Adern hin und her schwappte. Mein Herz raste. Und hinter mir waren die nächsten Geräusche zu hören. Keine Hufen auf Schnee, es war wie ein Sturm, der immer näher kam.

„Dhar, ein Erddämon, Dhar mein Winterritter.“ stellte Frarka uns vor, während ich mich erinnerte, wie man einen Fuß vor den anderen setzte.

„Du hättest das nicht gleich sagen können, das ihr euch kennt?“ wollte ich wissen und begann dem Dämon nachzulaufen.

„Und Dir den ganzen Spaß nehmen. Nö.“ Ich hörte das Grinsen in der Stimme, als sie sich wieder auf der Schulter niederließ und sich in den Stoff klammerte, um nicht abgeworfen zu werden.

Und so rannten wir, während das Getöse hinter uns immer näher kam. Der Wald lichtete sich langsam und ich hatte das Gefühl, das es ein wenig Wärmer wurde. Als wir die letzten Bäume hinter uns ließen, sah ich die ersten Osterglocken durch den Schnee brechen. Der Dämon stampfte durch den Schnee, jeder Schritt erschütterte den Boden. Aber er traf dabei nicht eine der Blumen.

„Springt auf. Ihr seid zu langsam.“ schnaubte der Dämon.

Ich schaute mich um, Wolken aus Staub, Dreck und Schnee erhoben sich hinter uns, beinahe zu greifen nah, aber wer oder was sich darin verbarg, war noch nicht zu erkennen.

Noch im Lauf griff ich nach dem linken Horn, das aus dem Schädel ragte. Mit einem Schwung warf er uns auf seinen Rücken und ich konnte gerade noch die Finger zwischen die Hornplatten krallen und verhindern auf der anderen Seite wieder herunterzurutschen.

Und dann wurde ich fast rücklings abgeworfen, als Dhar seine Geschwindigkeit noch einmal zu verdoppeln schien.

Frühling besser lies sich die Landschaft nicht Beschreiben, durch die wir rasten. Frische triebe überall, Grün so Weite das Auge reichte. Und selbst als ich mich umsah, war da kein Winter mehr, aber die Staubwolke war noch da, nur ein kleines Stückchen weiter entfernt. Neben uns floss ein kleiner Bach.

"Der Fluss der Zeit. Nicht mehr weit bis zur Quelle." schrie mir Frarka ins Ohr, um das donnern der Hufe zu übertönen.

Als ich meinen Hintern nicht mehr spürte und die Arme zitterten vor Anstrengung sich in die Hornplatten zu krallen erreichten wir endlich die Quelle. Ein paar Felsen, aus denen ein dünnes Rinnsal sickerte. Ich ließ mich vom Rücken Dhars gleiten und saß im Schnee. Ich hätte kein Brotmesser mehr heben können, selbst wenn ich es geschafft hätte mich auf die Beine zu erheben.

Frarka aber stürzte sich in das Wasser, tauchte ein und kam spritzend und prustend wieder hervor. Für die kleine Elfe war die Pfütze wie ein See.

"Gewonnen! Gewonnen!" jubelte sie und ich verstand kein Wort, denn die Wolke unsere Verfolger schien wieder viel näher zu sein und das Tosen des Windes löschte jedes andere Geräusch neben Frarkas Jubelschreien aus.

Und trotzdem donnerte es plötzlich ohrenbetäubend.

"Prinzessen Frarka!" sagte eine neue Stimme. Sie war nicht erhoben und doch drängte sie alle anderen Geräusche in den Hintergrund.

"Mama?" mit einem male war tatsächlich ruhig. Ich rappelte mich auf und sah zwei Elfen über der Quelle schweben. Sie war in ein hellblaues Kleid gewandet und etwas größer, als Frarka. In den Haaren funkelte ein Diadem aus Silber.

Die Winterkönigin hob die Hand und die Staubwolke fiel in sich zusammen. Übrig blieb nur eine einzige weitere Elfe von Frarkas Größe, aber mit feuerroten Haaren.

"Und Prinzessin Osrira. Natürlich." Sie stemmte die Arme in die Seiten und schaute wütend auf ihre Tochter und Osrira. Beide schienen tatsächlich zu schrumpfen, unter ihren Blicken.

Dann wandte sich an mich. "Ich muss mich für meine Tochter und ihre Freundin entschuldigen. Kinder. Sie spielen gern Sonnenwende."

"Ähä." brachte ich hervor.

"Sie sind nicht zu Schaden gekommen, oder?"

Ich schüttelte den Kopf. Mehr n´benommen von der Offenbahrung, als den Abenteuern. Sie schwebte ganz dicht vor meinem Gesicht. Dieselben spitzen Gesichtszüge und Ohren, wie die Tochter und ihre Augen waren groß und blau und tief, dass man sich darin verlieren konnte.

"Frarka. Du hast Magiearrest. Eine Jahreszeit!"

"Mamaa!"

"Ruhe!" Frarka hielt den Mund und zog schmollend Kreise um die Quelle.

"Osrira. Ab nach Hause. Ich rede noch mit Deiner Mutter."

Mit gesenktem Kopf zischte die Sommerprinzessin davon, mit den wehenden Haaren wie ein kleiner roter Komet.

"Mama, Mama." Frarka zog am Rockzipfel ihrer Mutter. "Bitte bitte mach, dass er nicht vergisst. Osiria hat geschummelt, als sie mich zu den Menschen verbannte. Nicht meine Schuld!"

"Still. Es war Deine Entscheidung einen Menschen mit hinein zu ziehen."

"Bitte Mama." flehte sich, dass ich Mitleid bekam. Als die Mutter sich zu ihr umwandte, war ich ihr ein kurzes Lächeln zu. Sie strahlte zurück. Wörtlich, es war als träfen mich die Strahlen der Wintersonne an einem klaren Tag. Die Wärme flutete durch meinen Körper.

"Mensch!" Forderte die Königin meine Aufmerksamkeit zurück. "Ihr ward sehr mutig, euch einem Dämon entgegen zu stellen."

"Ich wollte ihm doch nichts tun." brummte Dhar. Selbst das riesige Tier versuchte sich klein zu machen vor den Blicken der Königin, aber sie beachtete es nicht. Ganz leise zog Dhar sich zurück. Wahrscheinlich ganz froh, dass ihn der Zorn der Königin nicht getroffen hatte. Wenn das ein Jungtier war, wie groß mussten Dhars Eltern sein?

"Behaltet das Schwert und bleibt der Winterritter. Als Dank für euren Mut." wandte sich die Königin wieder an mich.

Mir stand der Mund offen vor Staunen, selbst dann noch, als ich von einem Augenblick zum Anderen wieder in meiner Wohnung war. Die Winterkönigin schwebte noch immer vor mir, als hätten nicht wir uns bewegt, sondern das Universum um uns herum.

Dann verschwand sie. Nicht ohne noch eine Packung Kekse aus dem Schrank zu nehmen.

Wenn das Schwert nicht vor mir auf dem Tisch läge, ich würde das Erlebte nicht glauben. Und vergessen hatte ich auch nichts.