Fallender Regen

Julie hob die Hände. Beide zusammen, das Ei der Handgranate versteckt dazwischen. Der Regen klatschte auf die Brücke, in den Kanal und auf die Kapuze ihres gelben Regenmantels.

"Halt, nicht weiter!", rief sie den Polizisten zu, den Finger schon im Ring des Splints. Sie blinzelte in die roten Lichter der Ziellaser und fragte sich, was sie hierher gebracht hatte.

Ben, immer wieder Ben antwortete sie sich selbst. Aber so tief hatte er sie noch nie in die Scheiße geritten.

Nur ein paar Stunden waren es wirklich nur Stunden, seit sich alles auf den Kopf gestellt hatte? Es fiel Julie schwer, die Augen offen zu halten. Sie war so unendlich Müde und wünschte sich nur, die Augen schließen zu können. Am anderen Ende der Brücke leuchteten die blauen Lichter der Einsatzfahrzeuge.

Mit einem Ruck zog sie die Hände auseinander. Den Hebel der Granate fest an das kalte Metall gepresst, aber ihre Finger zitterten, dass sie glaubte, das nasse Metallei müsse ihr gleich aus der Hand rutschen. In der anderen Hand der Metallring mit dem Splint, der die Granate sicherte. Für alle sichtbar baumelte er an ihrem Finger. Die Zähne musste Julie fest zusammenpressen, damit sie vor Kälte und Adrenalin nicht aufeinanderschlugen. Ihr Herz raste.

"Stopp," zischte sie. "Wir gehen alle drauf, wenn ihr schießt."

Die roten Punkte auf ihrer Brust wankten einen Moment unsicher, dann suchten sie wieder nach dem Herzen der jungen Frau.


"Hilf mir“, hatte Ben gesagt, vor einer Ewigkeit, als sie noch ein Leben hatte. Sie hatte ihm die Tür aufgemacht und ihn in die Wohnung gelassen. Sie hatte die Pizzaschachteln vom Sofa geschoben, damit er sich setzen konnte. Aber Ben nahm nicht Platz, er lief nervös von einem Fenster zum anderen und starrte auf die Straße und den Parkplatz hinter dem Haus.

"Was ist los, Ben?" Julie lehnte sich in die Kissen der Couch und öffnete eine Coladose. Sie fluchte, als der schäumende Inhalt sich über ihre Finger ergoss.

"Scheiße." Mit ausgestecktem Arm hielt sie die Dose über die Pappschachteln und angelte mit der anderen Hand nach einer Papierserviette.

"Ja. Scheiße ist los." Mit der Linken hielt Ben den Vorhang zur Seite. An guten Tagen konnte man von hier aus die Gurke im Finanzdistrikt von London sehen, aber die Regenwolken hingen schon seit Wochen tief über der Stadt.

"Estevez ist tot. Meine Schuld."

Julie ließ beinahe die Dose fallen. Estevez war ihr Dealer, aber er war auch der Neffe vom Don. Und dem gehörte dieses Viertel und alle, die darin wohnten.

"Du bist tot", entfuhr es ihr. Und er zog sie da mit hinein dachte sie.

"Ich weiß, ich weiß", stöhnte Ben und wechselte wieder das Fenster. Auf halber Strecke blieb er diesmal stehen und drehte sich zu Julie um.

"Du musst mit helfen, da wieder raus zu kommen."

"Ich? Warum ich? Wieso ziehst du mich mit in deinen Dreck?"

Einen Augenblick fürchtete Julie, Ben könnte in die Knie gehen und betteln, aber er wandte sich ab und ging zum Fenster zurück.

"Du warst doch mit diesem Cop zusammen!"

Julie nickte, das war lange her, vor den Drogen und vor dieser Absteige Sie stellte die Coladose ab und fetzen der Serviette blieben an ihrer klebrigen Hand hängen.

"Ich habe Estevez das hier abgenommen." Die Finger fummelten in der Tasche seiner Jeans, aber Ben brauchte zwei Anläufe um die Speicherkarte herauszubekommen. Seine Finger zitterten, als er sie hochhielt.

Julie starrte auf das kleine Rechteck aus Plastik und zuckte mit den Schultern.

"Estevez hat sich auf was eingelassen. Dachte er macht das große Geld, aber Scheiße, man kann doch keinen Terroristen erpressen."

"Von Anfang an bitte. Du ergibst keinen Sinn." unterbrach Julie.

"Mist, Mist, Mist“, wurde sie selbst unterbrochen. "Sie kommen, wir müssen weg."

Ungläubig starrte Julie Ben an, als er sie bei der Hand packte und auf die Beine zog. Sie griff nach dem Regenmantel und bedauerte es, die Tür geöffnet zu haben. Nicht so sehr, wie sie es drei Tage später bereuen würde.


"Hört mir zu“, flehte sie die Polizisten mit den Maschinenpistolen an. Aber sie sah nur ihre eigene verzweifelte Gestalt in ihren Visieren. Die Tränen brannten in ihren Augen.
"Die Metro, heute Abend“, flüsterte sie und betete, jemand würde ihre Stimme hören.


Sie hatten Julies Wohnblock durch die Kellertür verlassen. Der dünne Kunststoff ihres Mantels hielt den Regen ab, aber nicht die Kälte. Sie verschränkte sie Arme und schaute vorsichtig, ob die Luft rein war. Verfolger konnte sie nicht entdecken, sie mussten sie abgehängt haben.

"Cop, Blödsinn. Harm war nur ’n Bobby, der kann uns wahrscheinlich gar nicht helfen." Sie zog Ben durch die Gassen zwischen den Hinterhöfen und zermarterte sich das Gehirn, was sie machen konnten. Die Typen wussten, wo sie wohnte, das hieß, sie kannten sie und wer weiß was noch von ihr. Sie waren so am Arsch. Am liebsten hätte sie Ben in den Selbigen getreten und ihn zurückgelassen.

Aber sie fühlte sich schon schlecht genug, sehnte sich nach einem Downer und schlich weiter in Richtung Kanal. Weniger Autos bei dem alten Wasserweg, weniger Gelegenheit entdeckt zu werden. Hinter St. Pancras machten sie unter der Eisenbahnbrücke halt. Aus den Regen war Schneematsch geworden und Julie presste sich zitternd gegen den kalten Stein, um aus dem Wind zu kommen, der den dünnen Mantel um ihren Körper flattern ließ. Das Wasser plätscherte im alten Wasserweg und in den Fenstern der Kanalboote brannten warme Lichter.

"Spuck's aus." Sie war ungeduldig, wollte weiter aber ihre Füße brauchten eine Pause. Ben drückte sich neben sie an die Wand und seine Nähe ließ wenigsten ihre rechte Seite ein bisschen Wärmer werden.

"Estevez kam zu mir, sagte er hätt' ein dickes Ding an der Hand. Ich sollte ihm Deckung geben und dann ging alles nach hinten los. Ich hab den Chip genommen und bin nur gelaufen. Sorry, dass ich dich da rein ziehe aber ich hab nur gedacht, dass dein Cop der Einzige ist, der helfen kann."

"Is nich' mein Cop," stotterte Julie mit zitternden Lippen.

"Hast du eine bessere Idee."

Ihre Blicke trafen sich und Julie schüttelte den Kopf. "Er wird wenigstens wissen, wem Bescheid gegeben werden muss." Aber ihre Schritte waren zögerlich, sie wollte Harm nicht wiedersehen.


"Ganz ruhig“, sagte der Vermittler mit sanfter Stimme. Die Haare klebten ihm am Kopf und die Allwetterjacke war trotz des Windes geöffnet, damit sie sehen konnte, dass er keine Waffe trug. "Nehmen sie die Granate runter und wir können über alles reden."

Julie sah den Vermittler mit großen Augen an und schüttelte langsam den Kopf. Ihr Blick wanderte zwischen dem Splint, der von ihrem Zeigefinger baumelte und dem Sprengkörper hin und her. Es wäre witzig gewesen zu sehen, wie dem Fremden das Blut aus dem Gesicht wich, aber Julie war nicht zum Lachen zumute.

Der Mann drehte sich halb zu den Polizisten um und raunte etwas vom Bomb-Squad. Der Cop zu seiner rechten nickte "Is unterwegs."

"Alles in Ordnung. Mein Name ist Ray. Wir kriegen das hin."

Und sie hätte ihm so gerne geglaubt, aber da war kein Glaube mehr in ihr.

"Wie ist ihr Name?", wiederholte Ray. Langsam, geduldig, als würde er mit einem ängstlichen Pferd sprechen, das jeden Moment scheuen und austreten könnte.

"Julie. Julie Rain", flüsterte sie irgendwann.

"Julie, schön dich kennenzulernen," er machte einen weiteren Schritt auf sie zu, als hätte sie eine Einladung ausgesprochen. Aber er zögerte und blieb stehen, als sie den Kopf von links nach rechts bewegte. Ihre Augen wichen keinen Moment von den seinen.

"Erzähl mir deine Geschichte, Julie."

"Ein Terroranschlag."

"Ja, das wissen wir. Warum willst du das tun?"

"Nein, nein, nein. Nicht ich."

"Aber du hast die Handgranate."

Julie wollte schreien, dass sie reingelegt worden war, aber ihre Stimme versagte und sie sog nur die Luft durch die Nase in die Lunge und versuchte die Kraft zu finden alles zu erklären.

Im ersten Moment glaubte sie, jemand hätte ihr einen Schlag in den Rücken verpasst, sie taumelte einen Schritt nach vorn. Erst als sie an sich herunter sah, bemerkte sie das Blut, das über ihre Brust den Regenmantel hinunterlief und vom Regen fortgewaschen wurde. 

Den zweiten Schuss meinte Julie zu hören, nur ein dumpfes Poppen, wie in den Action Filmen, die sie gesehen hatte, ein Schalldämpfer. Und dann das Krachen der Maschinenpistolen, die den Schützen irgendwo hinter ihr ins Visier nahmen. Nur ein paar Sekunden dann war alles vorbei und betäubt von der Stille, die einsetzte.

Sie hatte nicht einmal gemerkt, wie sie in die Knie gegangen war. Zwei blutige Löcher klafften jetzt in dem Regenmantel und sie war auf einmal so froh, dass Ray sie in die Arme nahm. Sie realisierte nicht, dass seine Faust ihre Hand umklammert hielt, um zu verhindern, dass ihr die Granate aus der Hand fiel. Und sie sah auch nicht, dass die zweite Kugel nicht nur ihren Körper durchschlagen hatte, sondern in seiner Schulter stecken geblieben war.

So knieten die beiden in der Umarmung, rechts und links ein hockender Schütze, die Laserstrahlen auf die Büsche neben dem Treidelpfad unter der Brücke gerichtet, aber da war niemand mehr. Einer von ihnen sprach in sein Funkgerät, aber seine Worte von Krankenwagen und Bombenräum­kommando erreichten Julie nur wie durch dichten Nebel. Sie sah nur das Gesicht Ray vor ihrem eigenen und bemühte sich, nicht das Bewusstsein zu verlieren.


"Na endlich." Harm schaute auf seine Armbanduhr, ungeduldig, als ob er sie früher erwartet hätte. Julie wunderte sich, was das bedeuten sollte, aber Harm winkte sie herein in das Kanalboot zu steigen, das er zu seiner Wohnung gemacht hatte. Es war lang und schmal, dass Sie und Ben dem Ex-Cop nur in einer Zeile folgen konnten. Am Ende des Raumes bollerte ein alter Kohleofen.

Julie wollte fragen, was los war, aber Harm drückt sie auf die Chaise Lounge neben dem Feuer und sie spürte die Kälte zurückweichen. 

"Seid ihr verfolgt worden?", wollte Harm wissen.

"Nein, alles ruhig."

"Gut. Sie müssen jeden Moment kommen. Geh raus und halt Wache."

"Es ist scheiß Wetter Harm."

"Geh!"

Mit großen Augen schaute Julie zwischen ihrem Freund hin und her.

"Was ist hier los?"

"Schnauze", raunte Harm sie an und die junge Frau schloss eingeschüchtert den Mund. Mit gesenktem Kopf wartete sie, was als nächstes passieren würde und warum sie diese Rolle so schnell wieder einnahm es war schlimm genug beim ersten Mal.

Harm ging in den zweiten Raum des Bootes. Das Schlafzimmer. Julie erinnerte sich an das schmale Bett, das dort stand und die Zeit, die sie aneinandergekuschelt unter der warmen Decke verbracht hatten. Und daran, dass sie nicht nur einmal herausgefallen war und wie sie dann gelacht hatten, aber das war lange her, als sie ihn noch nicht so gut kannte.

Julie schüttelte den Kopf, um die Gedanken los zu werden, als Harm mit einer Holzkiste zurückkam. Julie kannte die Kiste und sie hasste den Inhalt.

Harm nahm eine halb automatische Pistole heraus. Erschrocken wollte Julie aufstehen, irgendetwas lief völlig falsch hier und sie spürte, dass sie raus musste. Sie kannte die Heckler und Koch in Harms Hand gut. Der Schalldämpfer war neu. Es war Harms Lieblingswaffe, er hatte das Stück Metall öfter liebevoll angesehen, als die junge Frau.

Mit einer Hand drückte Harm sie zurück in die Polster. "Schön ruhig. Du wirst noch gebaucht."
"Was geht hier vor." Seine Hand lag zu schwer auf ihrer Schulter, als dass sie hätte hochkommen können. Sie versuchte ihn anzusehen, aber die Angst war plötzlich wieder da, sie hatte verdrängt, warum es damals so schlimm gewesen war, dass sie gegangen war, als sie ihn nicht mehr ausgehalten hatte. Ein Schauer lief über ihren Körper.

"Hier, nimm das!", befahl seine Stimme und einen kurzen Moment wollte ihr Körper folgen, dann aber nahm sie die Hände hoch und drückte sich in das Leder der Chaise Lounge. "Kommt nicht in Frage, dass pack ich nicht an."

"Mädchen!", Sie hasste es, wenn er sie so nannte und Harm wusste das.

Plötzlich hatte sie den Lauf der Waffe vor den Augen und er drückte ihr die Handgranate in die Hand. Und hasste sich selbst mehr als ihn, weil er es wieder geschafft hatte, ihr seinen Willen aufzuzwingen.


"Nein, der Splint lässt sich nicht wieder reinstecken, Frischling“, hörte Julie Ray sagen, seine Stimme klang angestrengt, gleich neben ihrem Ohr, aber seine Worte schienen ihr aus weiter Ferne zu kommen. "Fuck, meine Hand fühlt sich taub an." - Pause - "Willst du hier Händchenhalten?" - Atmen - "Geh! Hol Klebeband, muss im Wagen sein." - schnelle Schritte über das nasse Pflaster - "Alle anderen Abstand halten."

Alles war so weit weg. Jeder Atemzug viel schwerer, als der vorhergehende.

"Informier die Sanitäter. Ms. Rain muss stabilisiert werden. Schnell."

Ihr Kopf sank auf seine Schulter, einen Moment wurde alles dunkel, dann hörte sie ein Ratschen und spürte, wie jemand ihre Hand nahm. Sie spürte Rays Finger über Ihren und fand die Berührung angenehm. Schwarz.

Komisch war auch, wie sich ihr Atem anhörte, als würde man mit einem Strohalm die letzten Reste aus einem Glas schlürfen. Sie zitterte und hustete. Plötzlich hatte sie den Geschmack von Meer und Metall im Mund. Sie wollte etwas sagen, aber sie bekam nicht genug Luft. Es war auch nicht in Ordnung, dass sich nur ihr rechter Brustkorb hob. Ihre Atmung ging rasend und flach.

"Drücken sie das auf die Wunden, dann helfen sie uns hoch." Kräftige Hände packten sie unter den Armen und jemand drückte mit Kraft auf Brust und Rücken. Sie wollte sagen, dass sie sich doch erst seit ein paar Minuten kannten, und begann zu kichern, aber das Kichern wurde Husten und sie klammerte sich mit der linken Hand an Ray. Die Rechte schien nicht mehr ihr zu gehören, aber sie war nicht mehr so kalt. Nein die Kälte war überall, nur nicht mehr in der rechten Hand, so sie Ray warme Hand auf ihrer spürte.

Wieder Dunkel.


Die Waffe hatte Harm an Ben weitergereicht und Julie sah, dass der Lauf zitterte, aber er blieb auf sie gerichtet.

Harm drückte ihr die Granate in die Hand und dann nahm er eine Rolle transparentes Paketband und fixierte den Sprengkörper, sodass sie ihn nicht fallen lassen konnte. Mit aufgerissenen Augen folgte sie jeder seiner Bewegungen, aber als sie zurückzucken wollte, packte er sie am Hals und drückte zu.

"Halt still, wenn du noch ein wenig leben willst." Er schloss ihre Finger um den Griff der Granate. "Und jetzt gut festhalten." Er strich ihr mit den Fingern über die Wange und dann zog er den Splint und schob ihr den Ring auf den Finger.

Sie konnte sich nicht bewegen ihr Kopf war völlig leer, sie spürte nur, wie ihre Glieder zitterten. Erst die Ohrfeige, die Harm ihr verpasste, ließ sie aufschrecken. 

"Nicht den Kopf verlieren, Kleine", er lachte. "Ben. Kanone. Schau, ob sich was tut."

Ben nickte nur und gab die Waffe zurück, ein kurzer Blick streifte Julie, aber er traute sich nicht, sie länger anzusehen, war nur froh, die Waffe loszuwerden. All das sah Julie in dem kurzen Moment, in dem sich ihre Blicke trafen. Was Ben nicht sah, war der stumme Hilfeschrei, der in ihrem Augen lag.
Sobald er die Luke öffnete, schlugen wieder Regen und Kälte in den Bootskörper.

"Sie kommen, ich kann das Blaulicht sehen."

"Gut."

Dann schoss Harm Ben in den Rücken, der Körper polterte die Stiege hinunter. Julies Augen waren auf Ben gerichtet, sie wollte schreien, aber Harm packte sie wieder am Hals. Dass sie mal geglaubt hatte, es wäre ein Spiel! Sie wollte sich losreißen, aber er war so viel stärker. 

Julie hustete, als er die Hand von ihrem Hals nahm. Der Lauf der Waffe bohrte sich in ihre Schläfe. Der Lauf war noch warm, fast heiß. Ihre Augen schwammen.

Der Ex-Cop schaute tief in ihre aufgerissenen Augen. „Wenn du noch ein wenig länger Leben willst, tust du jetzt genau, was ich sage." Harm zog ihr die Kapuze hoch und zog ihr die Regenjacke fester um die Schultern ohne die Pistole aus der Hand zu legen, dann drehte er sie in Richtung Ausgang. Eine Puppe, mit der er spielte. 

"Warum?" Das Wort kam nur mit Mühe über Ihre Lippen, sie fühlte ihre Wangen feucht werden.
"Geht dich'n Scheißdreck an. Jetzt geh. Nicht stolpern!"

Seine Hand lag schwer auf ihrem Rücken, zögernd setzte sie ihre Schritte um Bens Leiche herum. Blut und Wasser mischten sich auf den Holzdielen. Wenn sie zu langsam wurde, schob er sie weiter.
Im fallenden Regen leuchteten die Wassertropfen unwirklich im Blau der Polizeilicher. Aber es war still, keine Sirene war eingeschaltet. Nur die Regentropfen klatschten auf das Pflaster und Julies Kapuze.

"Geh ihnen entgegen. Erzähl ihnen was von einer Bombe in der Metro. Und vergiss nicht, dass ich in der Nähe bin." Sie spürte wieder die Waffe zwischen ihren Rippen.

"Verschaff mir die Zeit zu verschwinden, dann lass ich dich leben." Als er Julie diesmal schubste, wäre sie fast gestolpert. Sie fing sich und die Tränen liefen ihr über das Gesicht, im Regen wurden sie davongespült. 

Das „Vielleicht“, das er leise anfügte, hörte sie nicht mehr.

Ihre Finger schmerzten, so klammerten sie sich um den Griff der Handgranate.


Im Krankenwagen kam Julie kurz zu sich, das Atmen viel ein wenig leichter, aber es tat weh. Der Regenmantel war zerschnitten, ihr Shirt auch. In der Brust steckte eine Kanüle, im Arm steckten Nadeln, die sie mit dem Tropf verbanden. Überall war Blut, es rann auch durch einen Plastikschlauch in ihrem Bauch. Die Plastikmaske über Mund und Nase beschlug bei jedem Atemzug.

Ein Sanitäter beugte sich über sie. "Ihre Lunge war kollabiert, sie haben viel Blut verloren, aber es wird wieder gut. Wir waren ja rechtzeitig da."

"Das war knapp." Der Vermittler, Ray erinnerte sie sich, hielt ihre Hand. Er war blass und seine Stimme zitterte, seine Schulter bandagiert.

Die Handgranate war verschwunden, Reste vom Klebeband befanden sich noch auf ihrem Handrücken. Sie schloss die Augen und begann still zu weinen. Angst, Erleichterung, alle Emotionen gingen durcheinander in ihr.
„Wir werden noch etwas brauchen bis ins Krankenhaus, der Verkehr ist komplett zusammengebrochen, seit die Metro gesperrt ist.“ Im Schritttempo bewegte sich der Wagen durch die verstopften Straßen.


Das nächste mal wachte Julie im Krankenhaus auf. Ray stand im Raum, den Arm in einer Schlaufe mit zwei Uniformierten Polizisten an seiner Seite.

„Wir haben noch ein paar Fragen.“

Julie schloss die Augen. "Harm?“.

"Auf der Flucht, aber wir haben seinen Informanten bei der Polizei gefasst. Leider zu spät. Nach Ihrer Warnung haben wir die Metro gesperrt, dann sind vier Bomben sind an Busbahnhöfen explodiert. Er ist in dem Chaos entkommen."