Das Geheimnis der Elemente
Nethe bohrte mit dem Zeigefinger in der Nase, während sie mir bei der Arbeit zuschaute. "Kommst Du mit an den See?"
Das Wetter versprach eine fast klare Vollmondnacht. Nur wenige Wolken zogen am Himmel und die Sonne schickte gerade die letzten Strahlen des Tages über das Land. Wenn der Mond heute Nacht schien, würden die Elementare über dem Wasser tanzen. Sie liebte es, die Elementare dabei zu beobachten und dies war die richtige Witterung und Jahreszeit dafür. Sonst sah man die Wesen nur, wenn man sehr viel Glück hatte und oft nur einzeln oder vielleicht zu zweien.
Ich schaute in die tiefbraunen Augen Nethes, die mich mit aufgeregter Begeisterung ansahen. Sie stand im Tor der Schmiede meines Vaters und reckte den Kopf, um alles sehen zu können, ohne die Schwelle zu überschreiten.
Sie hatte Bedenken sich einen Metallsplitter in die nackten Füße zu reißen. Ich trug deshalb ein paar Fußlappen, mit Lederriemen festgemacht, denn es war sehr unangenehm sich einen Span in den Fuß zu treten oder ein heißes Eisenstück darauf fallen zu lassen.
"Ich frag Papa." nickte ich und wandte mich an meinen Vater, der neben mir am Schleifrad stand, die Kurbel drehte und beobachtete, wie ich die Klingen schärfte. Hin und wieder goss er ein wenig Wasser über den Stein.
„Darf ich?“
Lenhard nickte grinsend, während er vom mir zu Nethe schaute. "Hilf mir nur noch aufzuräumen, damit die Gone die Messer nicht verstecken." Mit den Worten sammelte er die Klingen zusammen, die schon fertig neben mir auf dem Tisch lagen, und verstaute sie in einer Kiste.
Nethe wurde ungeduldig und wischte den Finger an ihrer Schürze ab, während ich meinem Vater half die Werkzeuge zu verstauen. Ich sah ihre blanken Füße unter dem langen Rock, der bis an ihre Knöchel reichte.
Nethe war ein halbes Jahr älter als ich, fast dreizehn. Sie arbeitete den ganzen Tag mit ihrer Mutter auf dem Hof des Gutsherrn und lebte mit ihr, ihrem Vater und drei älteren Brüdern in der Hütte neben uns.
Nethe lehnte rücklings am Stützbalken und grub dem großen Zeh in den Dreck vor der Hütte. Wenn sie ihn besonders tief gegraben hatte, schnippte sie den Sand in einer kleinen Wolke davon.
Ich freute mich darauf, mit Nethe an den See zu gehen und hoffte, die Wasserelemente würden sich tatsächlich zeigen. Es war schön die Naturwesen zu beobachten, noch schöner, es mit Nethe zu tun. Und es war unser Geheimnis. Mit den anderen Kindern im Dorf hatten wir unsere Entdeckung nicht geteilt, das waren nur leibeigene Bauernbälger. Niemand außer uns beiden wusste, dass es überhaupt so viele Elementare in der Nähe des Dorfes gab. Ich schloss die letzte Truhe und schaute zu Nethe hinüber
Sie hatte sich umgedreht und kratzte mit den Fingern am alten Holz der Tür, wollte endlich los.
Ich löste den Knoten der Lederschürze und warf sie auf den Tisch neben der Tür, die vom Metall grauen Hände wischte ich an der Hose ab. Nethe griff meinen Arm, kaum dass ich fertig war, und zog mich hinter sich her. Papa lachte uns nach. "Seid nur vor der Bannstunde zurück." rief er uns zu, aber wir waren schon aus dem Haus.
Nethe konnte nirgends langsam hingehen, so schien es mir, sie rannte immer. Dabei hatten wir bestimmt noch zwei Stunden, bis der Mond hoch genug stand, und würden in schnellem Gang kaum mehr als halbe Stunde bis zum Gewässer brauchen.
Der dreckige Rocksaum Nethes flog mit jedem ihrer Schritte, mit der Linken raffte sie ihn hoch, um nicht darauf zu treten. Nach den ersten Schritten hatte ich meine Balance wiedergefunden und lief neben ihr. Ich war in den letzten Wochen schon wieder ein paar Fingerbreit gewachsen und jetzt schon fast so groß wie Nethe.
Sie trug ein graues Hemd und hellblaues Mieder darüber, mit ebensolcher Schürze, um die Schultern einen Schal, wie sie sie selbst häkelte und für ein paar Grain verkaufte, wenn der Kaufmann kam, um die Handarbeiten für den Markt in der fernen Stadt einzusammeln. Unter einem Kopftuch schauten ihre dunklen Locken hervor. Sie schaute mit halb offen Mund zu mir herüber, ihre Augen blitzten.
Ich tastete nach der Flötenpfeife in meiner Tasche und hoffte, das ich mich trauen würde, ein Liedchen für Nethe zu spielen, wenn wir am See waren. Ich hatte das Instrument aus einer frischen Weidenrute selbst gefertigt.
In den Fenstern der Häuser wurden die ersten Kerzen angezündet und über den Reetdächern stand der Rauch der Küchenfeuer. Ein Karren stand vor dem Tor des Gutshofes, das größte Haus im Dorf, sogar mit einem Garten darum herum, Rosenstöcke standen darin, die Knospen noch fest geschossen. Eines Tages würde ich vielleicht mal dahin eingeladen werden, wenn ich die Pferde des Herren beschlug.
Dann waren wir auch schon raus aus dem Dorf, es waren nur ein paar Hütten und das Anwesen des Gutsherren. Wir liefen quer über die Felder, auf denen der Roggen schon bis zu unseren Bäuchen hoch stand. Das nächste Feld lag brach, Gräser hatten es erobert. Erst am Fluss nahmen wir uns die Zeit, zu verschnaufen. Der Wasserlauf war nicht sehr breit, mit Steinen darin hätte man ihn mit zwei Sprüngen überqueren können.
Es wurde kühler, aber der Abend war nach dem frühsommerlichen Tag sehr angenehm. Nethe drehte sich mit tanzenden Schritten. "Ist das nicht herrlich?" Die Arme ausgestreckt, als wolle sie das Land umarmen.
Der Mond kam gerade über den Horizont gekrochen aber die Sonne war noch nicht weit genug hinter dem Horizont. Noch war alles in das Dämmerlicht des Abends getaucht. Wir folgten dem Ufer des Wasserlaufs, Schilf wiegte sich an seinem Ufer im Wind, ein Frosch quakte und Grillen zirpten. Ein Sprosser sang sein Lied, eine Serie von Tschirr-Lauten drang weit in die Dämmerung, wenn er zur Mitte der Nacht zur Ruhe kam, wäre es für Nethe und mich Zeit, den Wald zu verlassen.
"Ein Ban!" Rief Nethe und blieb so plötzlich stehen, dass ich ihr fast in den Rücken gelaufen wäre. Meine Blicke folgten dem ausgestreckten Arm. Nethe deutete hinüber zum anderen Ufer, wo der Waldrand hinter den Wiesen zu sehen war, die Schatten waren dunkel unter den Eschen und Erlen des Bruchwaldes. Wie Nethe da einen der Waldgeiser sehen konnte, wusste ich nicht.
"Ich seh' nix." sagte ich. Nethe dreht sich zu mir um, schaute, wohin ich blickte. Dann fasste sie ich an den Ohren und wendete meinen Kopf noch etwas weiter nach links. Ich musste lachen und sie lachte auch, aber ich sah den Schemen, der nur wenig heller als der Schatten unter den Bäumen dastand. Er waberte kurz und huschte dann zurück in den Wald.
"Meinst Du, die Bane sind heute schon früher unterwegs?" flüsterte ich und räusperte mich, es sollte nicht so klingen, als ob ich Angst vor den Waldgeistern hatte.
"Du fürchtest, dass einer Dich berührt." spaßte Nethe und schubste mich in Richtung Wald und ich stolperte fast in den Fluss, bevor ich nach ihrem Ärmel griff und sie mit mir zog.
"Hab dich schon!" rief ich und sie schriekte, als hätte tatsächlich ein Ban ihre Haut gestreift. Im nächsten Augenblick lagen wir in den Gräsern des Ufers nur eine Handbreit vom kalten Wasser entfernt. "Jetzt saug ich Dir die Seele aus." flüsterte ich mit verstellter Stimme und begann sie zu kitzeln. Nethe schrie und gackerte, während sie versuchte, sich zu befreien. Dann ging sie zum Gegenangriff über, bis auch ich Schwierigkeiten hatte, genug Luft zu holen und wir aufhören mussten. Einen Moment lagen wir einfach nebeneinander im Schilf, starrten in den Himmel, wo die ersten Sterne auftauchten, und versuchten wieder zu Atem zu kommen. Immer wieder unterbrach unser Glucksen und kichern die Grillen bei ihrem Gezirpe.
Schließlich rappelte ich mich auf und half Nethe auf die Füße und klopfte den Sand von ihrem Rock und meinen Hosen. Tat so als wollte ich sie wirklich ins Wasser stoßen aber hielt sie fest an den Händen. Als ich sie losließ, rückte Nethe ihr Kopftuch zurecht. Sie grinste bis zu den Ohren und stopfte einige vorwitzige Strähnen zurück unter den Stoff. Plötzlich sprintete sie davon.
"Wer zuerst an der Brücke ist." rief sie mir zu und ich musste erst einmal meine Beine sortieren, bevor ich Nethes schnellem Lauf folgen konnte.
Die Brücke bestand nur aus wenigen zusammen genagelten Planken, wo der Bach sich verengte und gurgelnd durch die eng stehenden Felsen drängte. Ich hätte Nethe sicher eingeholt, wenn ich nicht fast über einen Stein gestrauchelt wäre.
"Gewonnen, gewonnen." jauchzte sie und hüpfte auf und nieder, rauf auf die Brücke und wieder hinunter, dann sprang sie mit langen Schritten über die Bretter und drehte sich wie ein Wirbelwind auf der anderen Seite um die eigene Achse.
"Autsch." rief sie und stockte mitten in der Bewegung. Ich lief zu ihr, kaum auf das Wasser und die Felsen unter mir achtend.
"Nur ein Span." sagte Nethe und schlug die Brücke mit der flachen Hand. "Böses Holz." Sie hüpfte auf dem anderen Fuß und ließ sich dann ins Gras fallen. Den Fuß ins schwächer werdende Licht gereckt, tastete sie nach dem Splitter in der Sohle.
Ich verkniff mir das Grinsen, als sie fast auf den Rücken rollte, bei dem Versuch unter ihren eigenen Fuß zu sehen.
"Lass mich." und ich nahm ihren Knöchel in die Hände, während die ihren Oberkörper mit den Armen abstützte. Ich schöpfte Wasser mit den Händen aus dem Bach und reinigte die Sohle vorsichtig. Es war noch hell genug, dass ich das kleine Stückchen Holz tatsächlich sehen konnte. Ich griff es mit den Fingernägeln und zog es heraus.
Ich weiß nicht, warum, aber ich küsste ihren Fuß. Plötzlich war sie ganz still, trotz des rauschenden Flusses gleich neben uns und ich fühlte, wie ich rot wurde. Hoffentlich sah sie das nicht. Ich blinzelte zu ihr hinüber und sie tat ganz fasziniert von einer großen Erle, die am Waldrand stand. Aber ich konnte ihre hochgezogenen Mundwinkel sehen und dass sie selbst mehr Farbe hatte, als das Abendlicht erklären konnte.
Der Sprosser brach den Augenblick mit seinem kräftigen Schrei, er musste ganz nah sein. Nethe lachte laut und sprang auf die Beine. "Mein Held." Sie reichte mir die Hand und zog mich erst hoch vom Boden und dann zu sich heran. Gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und rannte den Fluss entlang, wo er in den Wald ging. "Komm. Trödel nicht. Wenn der Mond über die Lichtung am See kommt, will ich da sein."
Ich fühlte mich ein wenig schwindelig, als ich ihr folgte, noch über ein Feld, dann in den Wald. Äste knackten unter unseren Füßen und wir gingen nur noch mit flotten Schritten. Im Dunkel unter den Blättern hätten wir den Pfad zwischen den Bäumen sonst sicher aus den Augen verloren und hätten uns im nahen Moor wiedergefunden.
Mein Blick gewöhnte sich langsam an das schwache Licht unter den hohen Wipfeln der Erlen. Der Weg war noch schlammig vom letzten Regen, obwohl dieser schon zwei Tage zurücklag. Ich hörte das Schmatzen des Bodens bei jedem unserer Schritte.
Plötzlich waren wir raus aus dem Gehölz und auf der Lichtung, die den vom Fluss gespeisten See umgab. Im Osten floss das Wasser wieder ab. Da wo wir jetzt standen, im Süden, war dichtes Gras mit einigen Büschen. Weiden und Eschen säumten das Ufer des Westens. In Richtung Norden ging der See so weit, dass man mit dem Boot bestimmt zwei Stunden brauchte, um das gegenüberliegende Ufer zu erreichen, selbst wenn man sich kräftig in die Riemen legte.
Das Wasser schien fast schwarz zu sein, die Nacht begann. Einzelne Wellen blitzten silbern aber es war windstill so nah am Waldrand. Noch stand der Mond nicht hoch genug, um seinen Schein auf den See fallen zu lassen. Der Himmel ging langsam von tiefem rot in dunkles Blau über.
In der Nähe des Ufers lag ein umgestürzter Baum, ein Sturm hatte ihn vor einigen Jahren gefällt. Nethe und ich setzten uns nebeneinander auf die raue Borke und schauten auf den Spiegel der Wasserfläche. Wir lauschten auf die Geräusche der Nacht, ganz still waren wir, nur der Wald um uns herum war voller Laute und Geräusche. Blätter wisperten, Grillen zirpten, Vögel sangen. Der torfige Geruch des nahen Moores lag in der Luft.
Ich taste nach meiner Flöte und setzte sie an den Mund. Ich zog und schob das das Ende der Flöte in der Rindenhülle, um den Ton zu ändern, während ich vorsichtig hineinblies. Wenn ich nur besser spielen könnte, aber Nethe lachte nicht, als die eine oder andere Note daneben lag, sondern lauschte nur. Als sie das Liedchen nach einigen Tönen erkannte, begleitete sie mich mit ihrer Stimme.
Leise klar und hell erfüllte ihr Gesang die Nacht. Mit einem Male stockte sie kurz, um dann nur ein klein wenig lauter fortzufahren. Ich achtete nicht darauf konzentrierte mich nur auf mein Spiel und ihre Stimme bis sie, ohne inne zu halten ihre Hand unter mein Kinn schob und meinen Kopf zu ihr und nach oben wendete.
Über den Wipfeln der Bäume standen zwei Luftelementare. Zwei kleine leuchtende Schwaden, mit filigranen Fingern. Sanft leuchteten sie immer wieder die Form ändernd, wie Tinte in Wasser, nur weiß. Ich ließ überrascht die Weidenflöte fallen. Sie landete vor meinen Füßen im Gras. Als ich wieder aufschaute, waren die Luftare verschwunden. Nethe hörte auf zu singen, ihr Blick war in die sternengespickte Dunkelheit über uns gerichtet.
"Sie sind aufgestiegen, wie zwei Schweifsterne." flüsterte sie ganz leise neben meinem Ohr.
Ich griff nach der Flötenpfeife und legte sie neben mir auf den Stamm. "Ich wollte sie nicht vertreiben." antworte ich ebenso.
"Schon gut." kam es zurück. "Ich dachte man würde sie nur in den Bergen sehen, über den Wolken." fuhr Nethe fort, wie zu sich selbst.
Ich zuckte mit den Schultern, aber sie sah das nicht.
"Unsere Musik hat sie angelockt." sagte sie leise.
Wir saßen eine Weile schweigend da und schauten auf den See hinaus, dachten über das Gesehene nach. Ich kannte niemanden der behaupten konnte schon einmal ein Luftelement gesehen zu haben, zu selten waren sie in Bodennähe zu entdecken.
Endlich reichten die Strahlen des Mondes über die Kronen der Bäume, ließen den See aufleuchten im silbernen Licht. Das Warten machte mir nichts aus.
"Schhhh." machte Nethe und rückte dichter zu mir heran. "Gleich kommen sie." ich hatte gar nichts sagen wollen, ihre Nähe war mir genug.
Viele Sterne standen jetzt über uns, der Himmel ganz dunkel nur noch ein schwacher Schimmer als Erinnerung an den letzten Tag im Westen über den Weiden.
Das Erste, was wir sahen waren die Lichter, die tief im See erschienen, dünne Strahlen, die tanzten und wiegten. Blau leuchtend, wie der Winterhimmel, kamen die kleinen Wesen an die Oberfläche drehten Kreise und Spiralen darunter und brachen schließlich an die Luft. Nicht eine Welle erschien, wo sie überwechselten. Jedes nicht größer als eine Faust, durchsichtig, Fahnen aus Licht folgten ihren Bewegungen, wie Kielwasser.
Die Elementare schienen aus der Tiefe des Sees zu kommen, aber die Fischer hatten nie einen in ihren Netzen gefunden. Nur in Nächten wie dieser, wenn der Winter vorüber und der Sommer noch nicht ganz angekommen war, zeigten sie sich wie zum Fest, wenn der Mond voll und strahlend über dem Wasser stand.
Jetzt drehten Sie sich die Wassare in Paaren, als würden sie ihre eigene Musik hören, nur wenige Handbreit über ihrer nassen Heimat drehten und schlangen sie sich umeinander. Ich taste nach meinem Musikinstrument und wollte dazu spielen, aber meine Finger konnten die Flöte nicht finden, sie war wohl hinuntergerollt und lag im Gras. Ich wollte meinen Blick nicht abwenden, um danach zu suchen. Ein kühler Hauch streifte meine Rücken. Ich spürte wie Nethes Hand die meine ergriff unser Finger verschränkten sich und ich hielt sie fest.
Zwei Elementare verschmolzen, wurden drei.
Mit einem Male hörte ich die Weidenflöte, keine Melodie, nur Töne, als würde von ungeübtem Munde nur hindurch geblasen. Die Elementare über dem See stockten erschreckt, dann jagten sie, eines nach dem anderen zurück in die Tiefe. Schnell versanken die Lichter.
"Da. Ein Ban!" rief Nethe und diesmal braucht sie mir nicht zu zeigen, wohin ich blicken musste, denn meine Augen hatten den Waldgeist schon entdeckt, von meinen Ohren gelenkt, denn er hatte mein Weidenstöckchen in seinen schleierhaften Fingern, der Wind schien sie zu spielen, während er sich in den Wald zurückzog.
"Er hat meine Flöte." sagte ich unnötigerweise, während Nethe schon auf den Beinen war.
"Komm, wir holen Sie."
"Du willst dem Ban hinterher?"
"Es ist noch Zeit."
Sie machte die ersten Schritte in Richtung Wald, drehte sich zu mir um, wenn sie unsicher war ließ sie es sich nicht anmerken. Kurz entschlossen setzte sie dem Ban hinterher. Ich wollte sie nicht allein gehen lassen und lief ihr nach.
Der Ban war schnell, aber wir konnten ihn immer hören, der Wind in meiner Flöte verriet ihn, wenn er wieder zwischen den Bäumen verschwand. Wir folgten keinem Weg, aber ich war mir sicher, dass das Moor in der anderen Richtung lag. Hoffentlich würden wir den Weg zurück finden. Nur wegen einer Weidenpfeife. Ich hatte sie selbst geschnitzt, ich könnte noch viele fertigen, solange die Rinde der Weiden noch saftig war. Ich wollte nach Nethe greifen, sagen, dass wir umkehren sollten, aber konnte es nicht. Was würde sie von mir denken, wenn sie dem diebischen Waldgeist nachsetzen wollte und ich mich fürchtete.
Fast rannte Nethe fast über den Haufen, als sie plötzlich stehen blieb. Der Ton war verstummt. War der Ban entwischt? Fast wünschte ich, dass es so wäre. Ich wollte den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, aber Nethe drückte mir den Finger auf die Lippen und ich schwieg.
An ihr vorbei sah ich die Lichtung, die wir erreicht hatten, ein einzelner abgestorbener Baum stand in ihrer Mitte. Hier waren wir noch nie gewesen, wir mussten Tief im Wald sein. Es roch auch nicht mehr nach Torf, sondern nach altem Laub.
Drei Bane waberten um den toten Baum herum, die Flötenpfeife wie ein Schatten im schwachen Licht, das von ihnen ausging, aber den Boden nicht zu erreichen schien.
"Was machen sie?" hauchte ich verwirrt, ein solches Veralten kannte ich nicht von den Waldgeistern, sie waren sonst nur einzeln mal zu sehen, wenn man sich zu spät noch im Wald aufhielt. Man lief dann besser schnell Heim.
"Weiß nicht." kam es dicht an meinem Ohr zurück. Wir drückten uns an den Stamm einer Esche, ganz nah am Rande der Grasfläche und schauten den Geistern zu, wie sie um das Weideninstrument zu streiten schienen.
"Jedes will die Flöte." flüsterte Nethe. "Wie bekommen wir sie zurück?"
Ich wusste keine Antwort darauf. So blieben wir hocken, wo wir waren und beobachteten. Mein Blick ging hinauf zum Mond, er stand jetzt schon Hoch und die Bannstunde rückte näher. Die Zeit, in der die Bäume den Geistern gehörten und die Menschen den Wald verlassen sollten. Mein Mund stand schon offen, um Nethe zu sagen, dass wir gehen sollten, als sie mich an der Schulter berührte. Es tat sich etwas unter der ausgeblichenen blätterlosen Krone.
Ein Ban hatte die Flöte und floss den Stamm hinauf, eine Schwade nach der anderen ausstreckend bewegte er sich in die Höhe und legte das Instrument schließlich in eine Astgabel. Er musste gut gewählt haben, denn der Wind spielte jetzt sein Lied in dem Holzröhrchen. Mit Böen, sanft und leise entstand eine Melodie. Ich schloss den Mund und starrte nur. Hatte immer gedacht, die Bane seien dumme Geister, nur gelenkt von ihrem Hunger auf die Seelen der im Wald verlorenen, aber.
Ich hatte Angst, mehr noch, als zuvor. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich tastete nach Nethes Hand, die sich um die meine wandte und fest drückte. So warteten wir. Wir hätten gehen sollten, aber die Neugierde war stärker. Nethes, nicht meine. Ich sah es in ihren großen Augen, die selbst im Mondlicht noch zu leuchten schienen. Ich wusste, dass Nethe das sehen wollte und ich traute mich nicht zu sprechen, denn die Bane hätten es hören können.
Es dauerte nicht lange. Die Bane waren ganz still geworden, kaum noch zu erkennen, so schwach war ihr Licht, ich wusste, dass sie lauerten, warteten. Dann sah ich die Luftelementare wieder hoch über dem toten Baum standen sie und drehten langsame Kreise. Ich sah einen Ban eine Schwade nach ihnen strecken, aber sie waren viel zu hoch.
Die Holzelementare kamen eine gefühlte Ewigkeit später. Blasses Grün schien von ihnen auf die Stämme der Bäume, wie Finger schlangen sich ihre Fahnen um die Äste, aber sie blieben im Schutz des Waldes, noch. Einige Zeit bewegten sie sich in den Kronen und nur ganz vorsichtige traute sich mal einer hinaus auf die Lichtung, nur um gleich zurückzuzucken in den Schutz der Blätter.
Auch die beiden Luftare waren näher gekommen, es musste das Spiel der Weienpfeife sein, dass sie lockte. Holz und Luft. Das Instrument band die Elemente an einander, dämmerte es mir und sie fühlten sich angezogen davon. Fast vergas ich die Waldgeister unter dem abgestorbenen Baum über der Erkenntnis. Mir schnürte es den Magen zusammen, sie konnten ja nur auf die Elementare warten.
Nethe neben mir musste das Gleiche fühlen, denn mir schmerzte schon die Hand so fest hielt sie die meine. Wir wagten, keinen Laut zu sprechen. Drängten dichter aneinander, die Luft schien frisch zu werden, die Wärme des Tages war gänzlich der Nacht gewichen.
Zwei Holzare wagten sich aus dem Wald eng umeinander kreisend näherten sie sich dem wechselnden Ton. Zögernd. Immer wieder hielten sie inne, als wollten sie überlegen wieder in die Bäume zu huschen.
Ich wollte rufen, dass da Bane auf der Lichtung lauerten, aber ich war wie Stein vor Angst.
Die grünen Lichtchen kreisten jetzt um die Leiche des Baumes auf der Lichtung. Im Schein des Mondes sah ich einen Trieb sprießen. Neben mir hörte ich Nethe seufzen, sie hatte es auch gesehen. Ganz nahe mussten sie jetzt an der Flöte sein. Auch die Luftare waren inzwischen ganz dicht und der Wind stärker in den ausgeblichenen Ästen, man hörte es an dem lauteren Spiel. Plötzlich griff ein Ban nach oben reckte sich und wuchs und verschlang eines der Holzelementare. Ich meinte den Schrei zu hören aber es war vielleicht nur Einbildung, nur einen Augenblick war sein Licht noch im Inneren des Ban zu erkennen, dann verlosch es.
"Nein!" schrie Nethe und war aufgesprungen. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, aber es war zu spät sie konnte den Ruf nicht zurücknehmen und die Bane hatten uns entdeckt. Die Elementare zuckten davon, die der Luft in den Himmel, das jetzt einsame des Holzes zurück in den Wald.
Auch die Bane zuckten zurück und gaben die Lichtung frei.
Ich sprang ebenfalls auf. "Verschwindet böse Geister." rief ich so laut ich konnte und sie wichen tatsächlich zurück. Nethe lief zum Baum, wollte die Flöte nicht da lassen, wo sie so viel Unheil anrichten konnte. Ich griff nach ihr, wollte sie festhalten, aber sie war schon den halben Weg gelaufen. Was blieb mir, als ihr nachzusetzen.
Ich sah die Bane aber bereits wiederkommen, als ich Nethe am Baum einholte. Zögerlich noch näherten sie sich, aber lange würde ihre Vorsicht nicht anhalten. Ich sah zwischen ihnen und dem toten Holz in und her. Da war tatsächlich ein frischer Trieb gewachsen, ein Blatt entfaltete sich.
"Hilf mir hoch." rief Nethe und griff nach dem nächsten Ast. Ich machte eine Räuberleiter und von meinen Händen stieg Nethe auf meine Schultern. Ich sah noch, dass die Bane sich wieder näherten, bevor mir Nethes Rock über die Augen fiel und es dunkel wurde. Sie schimmerten wütend, dass wir ihnen ihre Falle wieder wegnehmen wollten.
"Schnell." schrie ich schrill. Ich spürte, wie sie sich reckte, sich auf die Zehenspitzen stellte und diese in meine Schultern presste, ich biss die Zähne zusammen, es tat weh.
"Hab sie." und mit den Worten sprang sie auch schon hinunter. "Komm schnell, zum Fluss. Die Brücke überqueren sie nicht." Sie war so aufgeregt. Ich hörte es in der sich überschlagenden Stimme. Die Bane wichen vor dem lauten Ausruf wieder zurück, aber nicht mehr so weit, wie vorhin.
Dann liefen wir auch schon, einfach in den Wald hinein, die Richtung, aus der wir gekommen waren. Es war Dunkel unter dem Blätterdach, das Licht des Mondes erreichte kaum den blätterbedeckten Boden. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
Ein kurzer Blick zurück. Die Bane waren schon viel näher, viel sicherer in ihrem eigenen Licht bewegten sie sich rascher als Nethe und ich.
Endlich erreichten wir den See dunkel und still lag er da, aber die Wasserelemente waren nicht wiedergekommen. Froh den Weg wieder gefunden zu haben, liefen wir Seite an Seite, so schnell unsere Füße uns tragen wollten.
Nicht schnell genug.
Der Sprosser stieß einen scharfen Warnruf aus, der Weit in den Wald schallte. Wegen der Bane oder unserem Lauf, es spielte keine Rolle für den Vogel, der den Wald aufweckte. Im gleichen Augenblick brachen wir aus dem Bäumen auf die Felder, die Brücke nicht mehr weit. Aber ich spürte den kalten Hauch in meinem Rücken. Eine Spitze wie Frost, die eindrang und meine Lunge, dann mein Herz frieren ließ.
Ich stolperte, aber Nethe zog uns weiter. Auf die Brücke und über die Planken. Auf der anderen Seite ließen wir uns fallen.
Die Waldgeister flackerten auf und nieder am Ufer des Baches, als sähen sie die Brücke nicht und ich erblickte einen Gon, der unter der Brücke kauerte. Klein war der Hausgeist, kaum höher als meine Elle lang. Er erhob sich auf das Bauwerk und die Bane wichen weiter zurück. Verschwanden im Wald. Das graue Licht des kleinen Gon verlosch, aber ich wusste, dass er noch da war und über seine Brücke wachte, wie die Bane über ihren Wald.
Der eisige Schmerz in Lunge und Herz ließ langsam nach. Als wir wieder zu Atem gekommen waren, half mir Nethe, auf die Beine zu kommen. Ich brauchte eine kleine Ewigkeit, bis ich endlich genug Luft bekam.
"Unglaublich." flüsterte sie und drückte mir die Flöte in die Hand. "Meinst Du, wir können das mal ohne die Bane wiederholen.