Reise_nach_Jerusalem_2
Bananen, Oliven, Äpfel - alles im Garten. Irgendetwas rotes blüht dazwischen. Zusammen gekuschelt liegt, weiß-braun gescheckt Alizas strubelige Katze im Sessel. Natürlich im Schatten. Meine Katze im Hof sucht immer die Sonne. Aber hier scheint sie sowieso, der Himmel ist blau, was sonst. Ich lasse den Tiger schlafen und mache es mir, samt Kaffee und Laptop im Wohzimmer gemütlich. Das ist eigentlich gleichzeitig Küche, Ess-, Fernseh- und Sich-über-den-Weg-lauf-Zimmer. Alles im britischen Kolonialstil, bis auf den Fernseher. Der groß, ganz groß. Der Nachbar hat auch einen und der funktioniert sogar schon morgens sechs. Das muß man natürlich durch geeignete Lautstärke alle wissen lassen. Ich werde ihn dafür sicher noch bewundern.
Bewundert werden wollen hier alle, besonders auf den Basaren. Gestern. Muslimisches Viertel, gleich am Damaskus Tor geht es los. Alle haben das schönste, beste, einzigartigste, originellste, in Jerusalem von ihrer Großmutter unter Tränen hergestellte irgendetwas mit Aufdruck "Made in China." Ich starte meine innere "Ignorieren"-Funktion. Laufen, gucken, nix verstehn. Irgendwann lasse ich mich dann doch auf einen Händler ein. Er lügt was das Zeug hält, ich auch. Kinder, Familie arm, Vater krank - also das war jetzt mein Programm. Macht Spaß. Schließlich nehme ich eine kleine Vase. Nicht ohne vor seinen Augen zu kontrollieren was in der Tüte ist, de er mir schließlich reicht und verabschiede ich mich. Das ich kein einfacher Kunde wäre, nehme ich als Kompliment. Noch ein paar Höflichkeiten und weiter geht es. Beim nächsten mal sollte ich vielleicht noch anfangen zu weinen.
Am Ende des Trubels eine ruhige Gasse. Fast unheimlich. Ein Tor, drei Soldaten. No, today closed. Durch das offene Tor erhasche ich einen ersten Blick auf den Tempelberg. Ein paar Gassen weiter endlich ein Schild zur Westmauer. Nee, das Sträßchen ist mir zu dunkel und leer. Ein paar Meter weiter, der nächste Hinweis, zeigt genau in die entgegengesetzte Richtung. Mehr Leute und vor allem Männer in schwarzen Anzügen mit großen schwarzen Hüten. Der Weg isses. Taschenkontrolle, der Weg war goldrichtig. Der Aufpasser ist sowas von gelangweilt, man sollte ihm einen Kaffe bringen. Aufgeregt sind die Touris. Die Klagemauer, wonderfull, so old, so holy, so anything. Die Orthodoxen, die mit den Schläfenlöckchen - ich find sie ja putzig - tun mir hier leid. Kein Schritt ohne Frage nach einem Foto. Er hat die längsten Löckchen, stellt sich geduldig und freundlich zum Foto bereit. Sein Traumberuf ist sicher Fotomodell. Ein anderer Orthodoxer brüllt dafür rum. Ok, zwei Polizisten schleifen ihn auch vom Platz. Die Betenden stören sich daran nicht. So, Mauer gesehen und nun? Kaffee. Mist den Stand an dem es Kaffee mit Kardamon gab finde ich in dem Gewirr nicht wieder. Dafür lande ich noch ausführlich im jüdischen Viertel. Nach so viel Exotik beschließe ich wieder in den westlichen Kulturkreis zurückzukehren und trinke meinen Kaffee bei McDonald's, ausserhalb der Stadtmauern.
Den Weg den Berg hinauf gehe ich etwas beklommen. Nicht weil es durch einen Park geht, es menschenleer ist oder weil mal wieder kein Hinweisschild da ist. Es ist keines da, ich weiß trotzdem das dies der Weg nach Yad Vashem ist. Zeit für mich sich der Geschichte zu stellen. In meiner Familie besonders, weil beide Seiten viel geschwiegen haben und viele, viele Fragen offen bleiben. Offen bleiben werden. Nach der Ausstellung, innerlich schon etwas aufgelöst, finde ich in der Datenbank ein paar neue Ansätze. Ich werde weiterfragen. Etwas benommen komme ich am Ende der Gedenkstätte auf die große Terrasse. Der Blick geht direkt in den Himmel. Ein Gefühl von kein Boden unter den Füssen, aber dem Himmel so nah. Die Amis um mich herum haben dieses Problem nicht. Für sie ist alles ein riesiges Disneyland. Eine aus der Gruppe weint und wird von ihrem Reiseleiter zugetextet. Er versteht nichts, sie dagegen alles. Nach den Amis, ich stehe immernoch auf der Terrasse und lasse den Blick ins undendliche schweifen, kommen still und leise junge, hübsche, israelische Soldatinnen. Schweigen, ein "toda" (Danke) für ihre Reiseleiterin, sonst nichts.
Ich fahr nach Hause und mache es mir Wohnzimmer gemütlich, bearbeite Bilder, beantworte E-Mails. Abends erklärt Aliza mich für verrückt, gleich am ersten Tag nach Yad Vashem. Aber sie versteht. Ihr Tag war lang, meiner hart.
Heute scheint wieder die Sonne, habe nicht mal Lust auf einen größeren Ausflug. Erstmal den Kaffee austrinken und frühstücken.
Shalom aus Jerusalem.