Blutspende

Martin saß im Labor, machte seine Blutuntersuchungen und nahm eine kleine Kostprobe. Das durfte niemand sehen, aber in der Nachtschicht zog nur Bernd der Nachtwächter seine Runden. Im Moment musste er draußen sein und alle Türen prüfen, damit nicht ins Labor eingebrochen wurde. Blutgruppe A, Rhesusfaktor negativ. Martin schlürfte etwas Luft in den Mund, um das Aroma herauszukitzeln. Ein junger Mann, etwa 30. Etwas zu viel Cholesterin und Salze, wahrscheinlich Fastfood. Keine Krankheiten, abgesehen von einige. Er ließ das Blut von Links nach rechts und von rechts nach Links über die Geschmacksknospen der Zunge gleiten. Keine Hepatitis, kein HIV, nur ein paar Antikörper gegen Erkältungsviren. Etwas Marihuana, aber das war schon ein paar Tage her. Martin war stolz auf sich. All das aus ein paar Millilitern Blut herauszukosten, war eine Kunst.

"Guckguck!" machte Bernd hinter Martin und Laborant zuckte zusammen. Schnell mit dem Handrücken den Mund abgewischt und gehofft, dass nichts zu sehen war, dann schnell das breite Grinsen aufgesetzt.

"Nix los?" fragte Martin und drehte sich um. Wenn er sich auf eine Probe konzentrierte sah und hörte er nichts um sich herum. "Solltest Du nicht draußen deine Runde machen?"

"Bei dem Wetter? Das verschieb ich lieber 'ne Stunde, vielleicht hört's dann auf."

Martin schaute durch des Lamellenvorhang nach draußen. Das Wasser klatschte gegen die Fensterscheiben und Blitze zuckten über den schwarzen Himmel. Es sah nicht so aus, als würde das Unwetter aufhören, bevor die Arche Seetüchtig wäre.

Er zog den Vorhang wieder zu und wandte sich dem Inkubator zu. Er nahm die Probenplatten heraus.

Martin lauschte auf Atmung und Herzschlag des Nachtwächters und hoffte, dass Bernd die Laborarbeit langweilig finden würde und sich in seinen Raum zurückzog, wo er wenigstens ein Radio hatte. Tatsächlich entfernten sich schon nach wenigen Augenblicken die Schritte. Die Tür zum Flur öffnete sich und schloss sich wieder.

Als gewissenhafter Laborant tippte Martin die Ergebnisse für das Probenarray in den Computer und ging anschließend zum Kühlschrank, um den nächsten Satz Proben herauszunehmen. Die Nachtschicht war eine super Lösung gewesen. Im Sommer mit Mantel, Hut und Sonnenbrille rumzulaufen wäre irgendwann zu Auffällig geworden.

Routiniert öffnete Martin mit der linken Hand ein Probenröhrchen nach dem anderen, währen seine Linke die Pipette führte. Andere Labors hatten dafür schon Roboter. Neue Pipettenspitze aufgesteckt, ein Tropfen Blut aufgesaugt. Ein Tropfen Blut ins Array. Und immer schön die gleiche Reihenfolge eingehalten, wie im Reagenzglasständer. Pipettenspitze in den Abfall. Nächste Probe.

Bei der 34sten Probe wurde Martin wieder schwach. Er hatte keine Hunger, er nahm immer die Konserven mit die entweder zu alt waren oder wegen Krankheiten zur Vernichtung aussortiert wurden. Rasch umgeschaut. Niemand da. Einen Tropfen in die Probenvertiefung und einen auf die Zunge.

Der Geschmack explodierte förmlich auf Martins Zunge. Eine junge Frau, höchstens 25. Ein bisschen Süßlich, vielleicht Diabetes, oder sie hatte vor der Spende etwas viel Schokolade genascht. Ein wenig Anämisch, aber nicht ausgeprägt. Eisenmangel, sie musste blass sein.

Martin drehte sich noch einmal zur Tür, hinter dem Milchglasfenster war der Flur erleuchtet, aber wenn er lauschte war da nichts zu hören. Ein Donnerschlag ließ ihn zusammenfahren, aber das war das Gewitter, das draußen tobte. Mit gespitzten Ohren schien es viel Lauter als es tatsächlich war.

Schnell noch ein Tropfen auf die Zungen, dann verkorkte Martin das Reagenzglas wieder, um nicht noch einmal in Versuchung zu geraten. Aber er prägte sich die Nummer ein, bevor er es in den Ständer zurückstellte.

Martin spürte, wie sich seine Eckzähne hervorschoben, das war schon sehr lange nicht mehr bei dem Geschmack von Blut passiert. Ob es die Hormone waren, fragte er sich. Der Eisprung war bei der Spende nur einige Tage her gewesen. Aber das war nicht alles, da war auch etwas mehr Adrenalin, als bei anderen Proben. Angst schmeckte wirklich etwas süß auf der Vampirzunge. Es war wohl ihre erste Spende und sie war Nervös gewesen. Martin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, aber er kam nicht weit, die Reißzähne waren voll ausgefahren.

"Hab ich meine Taschenlampe hier liegen lassen."

Martin unterdrückte gerade noch ein Fauchen und schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. Die Pipette knackte in seiner Hand so fest hielt er sie.

"OK. Ich mach dann meine Runde, wird wohl nicht aufhören zu regnen."

Der Vampir nickte langsam. Es erforderte seine ganze Konzentration eine neue Pipettenspitze aufzusetzen und die Nächste Probe zu nehmen. Seine Hände zitterten, aber das konnte Bernd nicht sehen so lange Martin ihm den Rücken zukehrte. Dann klackte die Tür wieder ins Schloss.

"Zeize." murmelte Martin ganz leise in sich hinein und versuchte an etwas anderes zu denken. Er versuchte es mit rosa Elefanten, aber die verwandelten sich rothaarige Frauen, wie die Venus von Milo. Dann halt blaue Hamster, aber die rekelten sie wie die Frauen von Rubens. Er konzentrierte sich auf die Arbeit, überprüfte jeden Schritt zwei mal und ganz ganz langsam spürte er, wie die Zähne sich zurückzogen.

Erst als er die Probenplatte in den Inkubator schob fiel Martin auf, dass er immer noch die Nummer der Probe vor sich hinmurmelte.