Die Angst vor Schnee

Ludmilla lachte. "Hi, hi, hi." Sie war verrückt, die Zahnräder in ihrem Kopf drehten sich nicht ganz rund. Aber das störte sie nicht weiter. Mit Hingabe schlug sie den Hinterkopf gegen die gepolsterte Wand des Zimmers und hörte den Stimmen in ihrem Schädel zu.

Sie sagten, ein Krokodil würde kommen und sie solle sich erinnern. Sie tat ja nichts anderes in ihrer Zelle. Durch das kleine Fenster sah sie wie der Mann mit der Karottennase sie anstarrte. Ein Schneemann, ja Männer in Weiß mit Karottennasen waren Schneemänner. Wieder musste Ludmilla lachen und das, obwohl sie diesen Schneemann nicht mochte. Er tat ihr manchmal weh.

Es war in Ordnung, das er sie ansah, solange die Tür zwischen ihnen stand. Aber als sie das Klicken des Schlosses hörte, ließ Ludmilla sich auf die Matten sinken und vergrub den Kopf zwischen den Armen. Sie wollte ihm die Karotte wegnehmen und versuchte nicht zu grinsen, aber dann kam die Angst und das Lächeln rutsche von ihrem Gesicht, sie traute sich nicht aufzusehen und hoffte nur er würde schnell wieder gehen.

"Zeit für deine Medikamente. Schön brav. Nicht Beißen."

Er zwang ihren Kopf in den Nacken. Ludmilla ließ die Lider fest geschlossen, während er ihr die Pille zwischen die Lippen schob.
Irgendwann schluckte sie mit Tränen in den Augen und die Pille war wie ein Stück Kohle in ihrem Hals.

Plötzlich war der Schneemann fort. Sie hörte Schreie, aber vielleicht waren das ihre eigenen. Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah zwei Männer miteinander kämpfen.

"Seine Nase. Reiß ihm die Karotte aus," feuerte sie den an, der keinen weißen Kittel trug.

Dann ein Messer, Blut Stille.

Ludmilla presste ihren Körper in die Ecke ihrer kleinen Kammer und konnte die Augen nicht von dem Rot nehmen, das den Körper des Schneemanns auf einmal tränkte.

"Ludmilla, komm. Wir haben nicht viel Zeit."

Sie wandte sich zu dem Mann um und schüttelte den Kopf. Man hatte sie schon so lange nicht mehr mit ihrem Namen angesprochen, dass sie sich manchmal wunderte, ob er nicht heruntergefallen war, dann tastete sie mit den Fingern zwischen den Matten, aber da war nichts außer Staub.

Auf einmal hatte er ihre Hand in der seinen. Sie wollte ihre wegziehen, aber er ließ nicht los.

"Ich hole dich hier raus."

Sie sah ihn an.

"Ich bin dein Bruder."

Sie schüttelte den Kopf. In der Höhle mit den weichen Wänden fühlte sie sich sicher. Da draußen, vor der Tür, war alles so groß und fremd. Der weiße Mann war hinter der Tür. Ihr Blick wanderte zur Blutlache. Aber der Schneemann, würde nicht mehr wiederkommen, sie wäre ganz sicher hier. Sie stemmte ihre nackten Füße in den weichen Boden.

Aber der Zug des Mannes war unerbittlich. Er nahm sie in die Arme, aber Ludmilla machte sich ganz steif und zitterte. Da ließ er sie wieder los.

"Erinnerst du dich nicht?"

Er nahm sie bei der Hand und leitete ihre Schritte durch die Tür. Seltsam, dass sie so wenig Angst hatte. Als würde ihr Körper den Fremden besser kennen als ihr Geist.

Die Gänge waren kahl und leer. Neonröhren flackerten an den Decken. Hinter einer Tür, ein paar Schuhe. Beine darin. Der Rest verborgen im Zimmer.

Dann waren sie draußen, es war kalt und Nacht. Schnee lag. Ihre Schritte stockten in der weißen Decke auf dem Boden und sie musste sich erinnern, dass der Schneemann nicht mehr kommen würde.

Ein Lieferwagen, mit dem Bild eines Blumenstraußes auf der Seite.
"Ist sie das?"

Die Ladenfläche kalt, nach Autoreifen riechend, eine Zündkerze neben dem Radkasten.

"Ja, das ist sie. Ich weiß nicht, was sie mit ihr gemacht haben."
Türen schlagen, eine Decke um ihre Schultern. Es tat gut, nicht zu denken. Sie rollte sich auf dem Boden zusammen.

"Aber du hast sie da rausgeholt. Nicht schlecht für einen Fensterputzer."

"Cleaner, du Matschbirne. Und jetzt fahr. Operation Krokodil wartet nicht auf uns."

"Und das ihr Oberstübchen im Eimer ist, macht nichts?"
Motorenlärm, ein Schlagloch. Es war wärmer in ihrem Loch.
"Es ist alles da drin, wir müssen nur herankommen, an die Informationen."

Ein Schauer lief über ihren Körper, als seine Hand über ihre Schulter strich. Aber seltsam, Angst war es nicht, die Ludmilla dabei spürte.