Todesfahrt (Der Cop und der Tod V)
Chadijas Vater schob ihren Rollstuhl vor die Tür des Krankenhauses, dann drückte er seiner Tochter den Schlüssel für den alten Ford in die Hand. „Fahr vorsichtig.“
„Passen Sie gut auf mein Mädchen auf.“ Sagte Bill zum Sensenmann, während er seiner Tochter aus dem Rollstuhl half, er sah den Fremden schief an, aber er sagte nichts dazu und Chadija war froh, nicht so viel erklären zu müssen. Ein Glück, das er nicht auch noch Horst sehen konnte. Er verzog das Gesicht, als er den Schmerz in ihrem Gesicht sah, aber er sagte nichts.
„Sag Mom, das ich sie lieb hab.“
„Das weiß sie, Zainab mag es nur nicht, wenn Du dumme Sachen machst.“
Chadija biss die Zähne zusammen und ließ sich in den Fahrersitz sinken.
„Mom denkt, mein Beruf wäre auch eine dumme Sache.“
„Dir ist gerade eine Kugel durch das Bauchfell, die Lunge und das Herz gejagt worden. Sie steckt sogar noch in Deinem Rücken. Und jetzt willst Du mit dem Auto nach Kanada. Deine Mom hat nicht ganz unrecht“, aber Bill lächelte bei den Worten.
Der Tod nahm auf dem Beifahrersitz platz und Horst setzte sich auf den Rücksitz, nach dem er einfach durch die Tür hindurchgeschwebt war. Chadija warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu. Aber sie drehte sich schnell wieder um, weil es in der ganzen Brust von der Bewegung schmerzte. Sie kurbelte das Fenster hinunter.
„Der Arzt sagt; fliegen is’ nich’ mit der Lunge und ich würde wohl auch nicht durch die Metalldetektoren kommen.“
Bill schüttelte den Kopf. „Du bist ein Dickschädel. Wie Deine Mutter.“ Er sah dem Wagen nach während Chadija den Wagen in den Verkehr fädelte. Es war früher Morgen und die Bostoner waren auf dem Weg zur Arbeit.
„Boston bis Quebec. Piece of cake.“ Murmelte Chadija als sie die Stadt hinter sich ließen und auf die Interstate 93 fuhren. „In etwa 7 Stunden sind wir da.“ Sie tippte mit dem Finger auf das Navi und bestätigte die Route.
„Warum Du dabei bist, weiß ich ja.“ Wandte sie sich an den Tod, der unverwandt geradeaus schaute, aber was macht Horst immer noch bei uns?“ Sie warf einen Blick in den Rückspiegel.
„Fass in Deine rechte Jackentasche“, sagte der Geist.
Ihre Finger erspürten den Stein sofort, die glatte kalte Oberfläche. Sie schloss die Hand um den Kiesel und sah eine junge Frau vor sich stehen, sie selbst – nein Horst - hatte eine kleine Schmuckdose in der Hand. Die Frau lachte ein ‚Ja’ und zog ihn zu sich herauf. Chadija ließ den Stein wieder los, gerade rechtzeitig, um in die Bremse zu steigen und dem Laster vor ihnen nicht hinten draufzufahren.
„Scheiße“, fluchte sie und klammerte sich an das Lenkrad, um die Kontrolle nicht zu verlieren.
Sie brauchte einen Moment, bis das Herz wieder langsamer schlug. „Ich sollte den Stein aus dem Fenster werfen.“
„Bitte nicht. Ich möchte lieber bei Dir bleiben, das ist aufregender, als auf der Autobahn zu spuken.“
Chadija verdrehte die Augen.
Sie fuhren eine Weile schweigend weiter.
„Fahr rechts ran“, sagte der Tod unvermittelt. Chadija sah zu ihm herüber, aber er hatte die Augen starr geradeaus gerichtet. Zur Linken kam ein See in Sichtweite, sonst war alles nur Wald zu beiden Seiten der Straße.
„Jetzt!“
Chadija sah den Laster auf der Gegenfahrbahn, ein riesiger Truck mit Anhänger. Ein Knall zeriss die Luft und der Laster geriet ins Schlingern. Chadija stemmte sich mit beiden Füßen gegen das Bremspedal und versuchte den Wagen unter Kontrolle zu halten, während die blockierenden Reifen über den Asphalt quietschten.
Der Truck schlitterte über die Straße. Statt der Kurve zu folgen, fuhr er geradeaus mitten durch die Leitplanken zwischen den Fahrbahnen. Im letzen Moment nahm Chadija die Füße von der Bremse und riss das Lenkrad herum, sie holperten über den Seitenstreifen und kamen gerade noch vor den Bäumen am Straßenrand zum Stillstand, nur wenige Fuß neben zwei Findlingen.
Hinter ihnen legte sich der Truck auf die Seite und rutschte noch eine ganze Strecke Funken sprühend weiter, bevor er liegen blieb.
Chadija dreht sich um. „Oh Gott“, flüsterte sie.
„Fahr weiter“, sagte der Tod.
„Was? Sollten wir nicht …“
„Dem Fahrer ist nichts passiert. Fahr weiter.“
Die Polizistin zog die Augenbrauen hoch, aber sie gehorchte und brachte den Wagen wieder auf die Fahrbahn. In ihrer Brust pochte das Herz. Sie stöhnte und legte die linke Hand auf die Narbe. Zwei Wochen waren hinten und vorne nicht genug, um so eine Verletzung auszukurieren. Noch nicht einmal die Fäden hatte sie ziehen lassen. Sie spürte den kalten Schweiß auf der Stirn.
Sie holperten über einige Trümmer des geplatzten Reifens und fuhren weiter nach Norden.
„Peter?“
Der Tod schüttelte den Kopf. „Nur ein Unfall.“
„Du siehst fast so blass aus, wie ich“, bemerkte der Geist.
„Ich weiß. Ich brauch `ne Pause. An der nächsten Tankstelle machen wir Rast.“
Sie schaute zum Tod hinüber. „Und dann werden wir reden.“
Peter rührte sich nicht.
Kurze Zeit später erreichten Sie Franconia. Chadija fuhr den Wagen auf den Parkplatz einer Raststätte. „Ich geht Pinkeln.“ Sie drückte dem Tod ein paar Dollar in die Hand. „Besorg was zu essen.“
„Und du passt auf das Auto auf.“ Sie legte den Stein auf das Armaturenbrett.
Ihr war plötzlich schwindelig, sie hatte sich überanstrengt, nach der Verletzung und der langen Bettruhe. Sie stützte sich an der Wand der Raststätte ab, nur noch ein paar Schritte bis zur Toilette. Man konnte sie schon riechen.
Zwei Männer bauten sich vor ihr auf. Ihre Haut war blass und ölig, die Haare schwarz und strähnig. Sie trugen lange Ledermäntel, ihre Augen waren von tiefem Blau.
„Wer ist Dein Gott?“, fragten sie, ohne die Münder zu bewegen.
Chadija stockte der Atem. Munkar und Nakir, ihre Mutter hatte ihr von den Engeln erzählt, welche die Toten prüften.
„Ich bin noch nicht tot.“
„Du solltest es sein“, sagte Munkar und macht einen Schritt auf sie zu.
„Wer ist Dein Gott?“ wiederholte Nakir.
Sie schüttelte den Kopf, brachte keinen Ton hervor. Sie erinnerte sich an die Furcht, die ihre Mutter ihr eingeredet hatte, als sie gezweifelt hatte und nicht mitkommen wollte in die Moschee.
„Wer ist dein Prophet?“, wollte Munkar wissen.
„Welches ist deine Religion?“ Nakir. Er nahm die eiserne Keule hoch, die er in der Hand hielt.
Chadijas Verstand war völlig leer. Sie wich zurück, aber hinter ihr war nur die Mauer.
„Welches ist deine Kibla?“ Munkar hob seine Waffe ebenfalls.
„Zurück!“, Peter hielt seine Sense zwischen die Polizistin und die Engel des Todes.
„Sie gehört uns!“, zischten Munkar und Nakir zwischen Zähnen wie Nadeln.
„Sie muss geprüft werden“, sagte Munkar.
„Sie muss geschlagen werden. Sie hat die Fragen nicht beantwortet“, sagte Nakir.
„Gib sie uns“, sagten beide.
„Ihr bekommt sie nicht“, antwortete der Tod.
Munkar und Nadir zischten wütend. Peter hob die Sense zum Schlag über den Kopf.
„Das Schicksal!“, fauchten die Engel. „Es ist ihre Zeit.“
„Diese bleibt!“
Munkar und Nadir wandten ihre Blicke von der Sense zu Chadija und zurück zur scharfen Klinge. Sie spukten ihr vor die Füße und die Polizistin zuckte zurück. Der Schleim zischte und brodelte auf dem Boden. Dann ließen sie ihre Keulen sinken und zogen sich zurück. „Wir kommen wieder. Du hast uns um sie betrogen, zum zweiten mal.“
Chadija schauten den Engeln hinterher und dann zum Tod.
„Ich hab mir fast ins Höschen gemacht.“
Sie saßen im Wagen auf dem Parkplatz und Chadija schlürfte den Heißen Kaffee aus einem Pappbecher.
„Kommen Munkar und Nakir zurück?“, fragte sie.
„Ja, aber nicht so bald.“
„Der Unfall vorhin?“
„Sie mögen es nicht, wenn man ihren Zeitplan durcheinanderbringt.“
„Du hast ihren Zeitplan durcheinander gebracht, als Du Martin hast entwischen lassen. Ich wäre sonst nie auf diesem Schiffe gewesen. War das dass erste mal?“
Der Tod nickte und nippte an seinem Becher. „Ich hätte Dich da nicht hineinziehen sollen.“
„Warum hast Du es getan?“
„Martin hat erzählt, wie wichtig der Partner bei der Polizei ist, man verbringt mehr Zeit mit ihm, oder ihr, als mit der eigenen Ehefrau.“
Chadija nickte, aber sie sagte nichts dazu, der Tod wandte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen.
„Ich wollte Dich kennenlernen.“
Die Polizistin verschluckte sich am Kaffee und hustete. „Wie bitte?“
Der Tod schaute wieder geradeaus über den Parkplatz und zuckte mit den Schultern. „Als Martin dann in den Styx sprang, dachte ich, das wäre meine Chance einen lebenden Menschen zu treffen, jemanden, der nicht gleich weitergeht, durch die Steinwüste zum Licht.“
„Ach du Scheiße.“ Flüsterte Chadija und starrte selbst hinaus aus in die Ferne.
„Äh,“ mischte sich Horst ein, der bis dahin gespannt geschwiegen hatte. „Und dass Du sie damit umbringst, dass Du ihr Schicksal änderst, daran hast Du nicht gedacht.“
Der Tod zuckte mit den Schultern, wandte sich aber nicht um „Das war noch nicht geschrieben, als ich die Entscheidung traf. Ich wollte es ändern auf dem Boot. Du hast nicht auf mich gehört.“
„Das war nicht mein Jenseits, oder. Da haben keine Todesengel auf mich gewartet.“
„Der Tod schüttelte den Kopf. „Martins“, sagte er. „Für Moslems sieht es dort etwas anders aus.“
Chadija musste das erst einmal verarbeiten, bevor sie weiterredete. Mom hatte ihr erzählt, wie es ist nach dem Tod, die Seelen, die aufgehoben werden, bis zum Jüngsten Gericht, ihr schauerte bei dem Gedanken und die Hölle für diejenigen, welche die Fragen nicht beantworten konnten, wie sie.
„Am Ufer des Styx. Du und Martin?“ wechselte sie das Thema und nahm noch einen Schluck Kaffee.
„Wir haben geredet, er über Susanne, ich über Dich.“
„Aha! Da wird mir einiges klar,“ warf Horst ein.
„Vielleicht habe ich Martin absichtlich beim Steinwerfen gewinnen lassen. Er bekommt etwas mehr Zeit um seine Frau zu finden und ich …“
„Etwas mehr Zeit mit mir“, vollendete Chadija den Satz. „Du bist ganz schön menschlich für einen Tod.“
Peter drehte den Kopf zu ihr und hob die Schultern „Zu viel Zeit mit den Menschen, das scheint abzufärben.“
„Und jetzt?“, wollte Horst wissen.
„Erst mal weiter nach Kanada.“ Entschied Chadija und drückte dem Tod den Schlüsselbund in die Hand. „Du fährst, ich leg mich hinten auf die Rückbank. Bin zu müde zum Fahren.“
Der Tod schaute auf die Schlüssel.
Die Polizistin stieg aus und kletterte auf den Rücksitz. „Lass dir von Horst sagen, wie das geht is’ `ne Automatik, wird schon schief gehen.“ Dann zog sie die Beine an und legte sich auf den Rücken. „Das ist besser.“