Todsicher (Der Cop und der Tod II)

„Als Susan mit dem Boot nach Halifax wollte, waren wir mit einem Fall im Drogenmilieu beschäftigt“, erklärte Chadija ihrem düsteren Begleiter. „Nach ihrem Verschwinden war Martin nicht mehr derselbe. Der Fall ist im Sand verlaufen.“

„Er wird versuchen herauszufinden, was damals passiert ist.“

„Die Kollegen von der Küstenwache haben den Fall untersucht, aber nichts gefunden, außer einer Öllache in der Gegend der letzten bekannten Position. Kein Wrack, keine Leichen. Sie könnten einen Wal gerammt haben, der Golfstrom könnte sie auf den Atlantik hinaus getrieben haben.“

 Chadija schaute von ihrem inzwischen kalten Tee auf. Es war ein seltsames Gefühl, sich mit dem Tod zu unterhalten.

„Wir sollten uns die Akten ansehen“, sagte der Tod und drehte die Sense in der Hand.

„Du kennst Dich ziemlich gut aus hier bei den Lebenden.“

„Bin öfter in der Gegend.“

Chadija schaute ihn an, konnte aber nicht erkennen, ob er gerade einen Witz gemacht hatte. „Das Ding da muss verschwinden und ein etwas weniger düsteres Outfit würde Dir auch gut stehen.“

Der Tod schaute erst auf die Sense und dann auf seine Kleidung. „Was stimmt damit nicht?“

„Alles. Die Leute werden uns anstarren.“

„Eigentlich ignorieren mich die meisten, bis ich zu ihnen komme.“

Chadija schüttelte den Kopf und stellte den Tee beiseite. „Kommt nicht in Frage. Nicht wenn wir zusammenarbeiten. Ich hab noch ein paar Klamotten von meinem Ex im Schrank, die könnten Dir passen.“

Der Tod zuckte mit den Schultern.

Das T-Shirt spannte etwas über den vom Sensenschwingen gestählten Armen, aber Jeans und Motorradjacke passten.

„War ’n Biker. Is’ düster genug, denke ich“, dachte Chadija laut und musterte den Tod von oben bis unten. So übel sah der gar nicht aus, markantes Kinn, die Augen lagen etwas Tief und die Haare waren so schwarz wie die Nacht bei einem schweren Gewitter.

Die Sense steckte er in die Tasche, wobei sie sich zuerst in eine Sichel, dann in ein Butterflymesser verwandelte. Chadija starrte auf die Tasche, in der es verschwunden war.

„Was, Klinge ist Klinge. Und die Leute stehen drauf“, erklärte der Tod.

Chadija nickte. „Äh, ja. Und wie soll ich Dich nennen?“

„Tot!“

„Tod? Toddy?“

Der Sensenmann verzog den Mund. „Peter.“

„Peter?“

„War auch ein Motorradfahrer. Die Straße war nass und seine Geschwindigkeit zu hoch. Netter Kerl, hat mir viel über Harleys erzählt. Schade, dass von seiner nur ein Schrotthaufen am Fuße des Kliffs übrig war, das hat ihn wirklich fertiggemacht.“

Chadija zog die Augenbrauen zusammen, aber der Tod schaute sie nur an. „Ok“, sagte sie schließlich. „Peter, is’ gut.“


Eine halbe Stunde später stiegen sie an der Marina von Chadijas Honda. Es war Sonntag und kalt für die Jahreszeit. Einige Bootseigner waren unterwegs, die ihre Schiffe für den Winter vorbereiteten.

„Das Boot war geliehen. Henry hat vielleicht noch die Papiere, wem es gehört hat“, erklärte Chadija, während sie den Pier hinuntergingen.

„Susans verschwinden könnte auch etwas mit dem Fall zu tun haben, den ihr damals bearbeitet habt.“

Daran habe ich als Erstes gedacht, Peter. Aber die Spuren von damals sind alle kalt. Wenn wir das Rätsel nicht von Susan aus aufrollen, sehe ich keine Chance.“ – und keine Chance für sich selbst fügte sie, nur in Gedanken, hinzu.

Sie beobachtete den Tod, wie er zielstrebig in Richtung Bootshaus ging, als ob er den Weg kennen würde. Womöglich war das sogar der Fall, Menschen starben doch ständig, warum nicht auch hier auf dem Pier. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie daran dachte, wie viele Seelen Peter schon eingesammelt hatte.

Plötzlich fing er an zu laufen.

„Was ist los?“, rief Chadija, dann lief sie ihm auch schon nach, es war ein Reflex.

Das Büro des Hafenmeisters war verwüstet. Chadija hatte automatisch die Waffe in der Hand und sicherte. „Niemand da.“

Peter öffnete die Tür zu einem Schrank und mit den Akten fiel ihnen auch der Körper Henrys entgegen. Der Tod nahm seine Klinge aus der Tasche und einen Wimpernschlag später war sie wieder eine Sense in voller Größe. Mit der Spitze berührte er den Hafenmeister.

„Verdammt, ich dachte ich würde sterben.“ Sagte der Mann. Sein Körper war durchsichtig, nicht ganz da und nicht ganz fort.

Der Tod reichte die Sense weiter an Chadija. „Nicht die Klinge berühren.“

Sie starrte auf die blitzende Schneide und wagte nicht sich zu bewegen.

„Henry McCallum. Du bist tot,“ sagte der Tod und packte den Mann mit beiden Händen an den Schultern.

„Och Mist.“

„Was machst Du denn hier? Ich dachte Du wärst suspendiert?“ mischte sich ein tiefer Bass in die Unterhaltung.

Chadija drehte sich zu der neuen Stimme um. Umhang, Kapuze riesige Sense. „Zwei von euch?“

„Und das war meine Seele“, klagte der neue Tod.

„Du kannst ihn gleich haben.“

Dann wandte er sich an den Toten. „Wer war das?“

Henry schaute zwischen den beiden hin und her. „Was?“

„Wer hat Dich umgebracht?“

Henry zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. War’s das jetzt?“

Peter schob den Geist zum anderen Tod hinüber. „Er gehört Dir.“

„Lass das nicht einreißen“, schalt sein Kollege. Er legte dem Geist die Hand auf die Schulter, dann gingen die Beiden durch die Tür. Hinter der aber nicht mehr der Hafen lag, sondern ein dunkler Ort und öliges Wasser, das an einen Strand aus schwarzen Steinen schwappte. Dann war die Öffnung in der Welt wieder zu. Chadija stürzte hinterher, aber als sie die Tür wieder öffnete lachte ihr die Sonne entgegen, die Möwen schrien. Und der Duft des Hotdogstands mischte sich unter den salzigen Geruch des Meeres.

Peter nahm ihr vorsichtig die Sense aus der Hand und steckte sie wieder in die Tasche. „Nicht mit Messern laufen“, sagte er in ernstem Ton.

„Ich dachte es gibt nur Dich.“

„Ja und nein. Es gibt nur einen Tod, aber der hat viel Gesichter und am Ende hat jeder Mensch seinen eigenen.“

Chadija schüttelte den Kopf. Sie deutete auf den Leichnam. „Das war nicht vorgesehen oder?“

Der Tot, Chadija fragte sich, ob er auch ihr Tod war, schüttelte den Kopf. „Nein, sein Name stand noch nicht auf der Liste.“

„Henry war auch nicht sehr hilfreich“, seufzte die Polizistin.

„Das ist der Schock, gibt sich auf der Überfahrt.“

„Suspendiert?“, erinnerte sich die Polizistin, während sei das Telefon aus der Tasche zog.

Der Tod seufzte. „Beurlaubt, bis ich den Schlamassel in Ordnung gebracht habe.“

Während sie auf die Verstärkung durch die Polizei warteten, suchten sie die Akte der St. Maria, aber es war keine große Überraschung, das sich nicht mehr da war.

„Es gibt sicher eine Kopie im Archiv der Stadt“, überlegte Chadija und steckte das Taschentuch wieder ein, mit dem sie die Gegenstände vorsichtig angehoben hatte, um keine Spuren zu verwischen.

„Wir sollten uns ´ne Geschichte ausdenken, um den Cops deine Anwesenheit zu erklären.“ Die Sirenen der Streifenwagen waren schon zu hören.