Mein Leuchtturm

Ich genoss es, oben auf der Plattform zu stehen und aufs Meer hinaus zu schauen. Es tobte in dem aufziehenden Sturm und die salzige Gischt machte die Luft frisch. Ich zog den Reißverschluss der Öljacke höher, denn es war jetzt im Herbst schon etwas kühl hier oben. Für einen Augenblick schloss ich die Augen und genoss die winzigen Tröpfchen auf meinem Gesicht. Als ich sie wieder öffnete, sah ich das kleine Boot, dass am Anleger vertäut wurde, gerade noch rechtzeitig vor dem Sturm. Es würde mir nichts anderes übrig bleiben, als den Besucher für diese Nacht zu beherbergen. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, nach Karins Tod wieder etwas Zeit mit einem anderen Menschen zu verbringen. Auf der anderen Seite hatte ich Gesellschaft nicht vermisst.

Karin und ich hatten den Job auf dem Leuchtturm praktisch zusammen angenommen, die Einsamkeit und das enge beieinander sein, hatte uns fasziniert. Statt nur drei Monate blieben wir schließlich drei Jahre, dann starb sie in einem Sturm. Es war ein Sturm wie dieser. Und das war jetzt auch schon wieder zwei Jahre her.

Ich riss mich vom Geländer los, blinzelte kurz in das Licht der Lampe, die ihren Lichtkegel weit über das Meer streifen ließ, und machte mich auf den langen Weg nach unten zur Tür.

Ich ging die Treppe hinunter, immer im Kreis herum, ganz oben lag der Kontrollraum für das Signallicht, darunter das Schlafzimmer. Bei starkem Wind spürte man, wie sich der Turm wiegte. Ich genoss das beim Einschlafen.

Darunter folgte das Wohnzimmer und eine Etage tiefer befand sich die Küche, in der auch die Badewanne aufgestellt war.

Unter der Küche befand sich ein Abstellraum und das Bad und darunter der Eingang zum Leuchtturm.

Ich öffnete die Tür mit dem ersten Schellen der Klingel. Der Besucher hatte genauso lange gebraucht, sich in dem Sturm den Pfad hinauf zu kämpfen, wie ich, um die 550 Stufen hinunter zu kommen.

"Oh hallo. Sie haben wohl schon gesehen, dass ich hier raufgekraxelt bin." Ich trat von der Tür zurück, um den Mann hereinzulassen. Mit klammern Fingern nestelte er am Reißverschluss der orangen Regenjacke und schob die Kapuze aus dem Gesicht. Oberlippenbart, irgendwo zwischen 30 und 35. Unter der Regenjacke trug er noch eine wasserfeste Hose und Gummistiefel an den Füßen.

"Meinen Sie, mein Boot ist da unten in der Bucht sicher? Ich möchte wirklich nicht zurück schwimmen, wenn der Sturm nachlässt." lachte der Mann.

"Ja." antwortete ich. Wenn das Boot vernünftig vertäut war, konnte nichts passieren.

"Gut. Ah ich vergesse meine Manieren. Mein Name ist Frank Gernhard." Ich schüttelte kurz die kalte Hand. Dann schloss ich die Tür, denn die Gischt stob herein.

"Sie müssen Johann Dörfelder sein." Er lachte. "Wer auch sonst, is ja nicht so, als ob man sich hier in der Hausnummer irren könnte."

Ich schüttelte den Kopf.

"Sie hätten nicht vielleicht einen heißen Tee oder Kaffee für mich? Das war eine Überfahrt! Hätte vielleicht auf den Fischer hören sollen und nicht vor dem Sturm fahren sollen, aber ich dachte ich komme noch zurück, bevor es richtig losgeht." Dann klopfte er mit der flachen Hand auf meinen Rücken.

"Ha, sie kennen sich mit dem Wetter hier sicher besser aus. Wie lange leben Sie jetzt hier? Fünf Jahre?" Er kletterte die steile Treppe hinauf, ich folgte.

"Muss doch fürchterlich einsam sein hier. Also ich könnte mir nicht vorstellen hier mehr als ein paar Tage zu bleiben, dann würde ich sicher durchdrehen." In der Küche ließ er sich auf einen der Stühle fallen und tropfte auf den Fußboden.

"Cool. Ne Badewanne in der Küche. Wie hat man die denn die enge Treppe rauf bekommen?"

Ich zuckte mit den Schultern und stellte einen Kessel Wasser auf den Herd. Frank warf einen Blick in die Runde.

"Also, wenn die nicht die Wände aufgerissen haben, dann muss die Wanne schon beim Bau des Leuchtturms hier raufgeschafft worden sein. Waren schon ganz schön schlau die Leute damals. Ist schon über hundert Jahre her, dass das hier gebaut wurde?"

Er ließ mich nicht zum Antworten kommen.

"Is' auch nicht so wichtig. Ich bin der neue Kriminalkommissar vom Festland und ich dachte ich statte Ihnen mal einen Besuch ab."

Ich nickte und goss das heiße Wasser über einen Teebeutel. Der Kommissar verzog das Gesicht, als er den heißen Becher mit beiden Händen griff.

"Schön heiß."

Ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse. Der Kommissar stellte seinen Becher wieder hin.

"Würden Sie mir auch den Rest des Leuchtturms zeigen. Ich hab so 'n Ding noch nie von innen gesehen." Damit stand er auch schon wieder und steuerte auf die Tür zur Treppe zu. Ich nickte und folgte.

"Ah, das ist also ihr Wohnzimmer. Hab mich immer gefragt, wie man ein Zimmer ohne Ecken einrichtet. Mit runden Regalen natürlich. Ich vermute, die gibt es nicht bei IKEA? Nein natürlich nicht." Er griff eins der Bilder auf dem Regal.

"Ist das Ihre Frau? Vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Das tut mir sehr leid."

Ich nahm ihm das Bild aus der Hand und legte es mit dem Gesicht nach unten ins Regal.

"Ja klar. Kann verstehen, dass das noch schmerzt. Mein Pudel ist vor drei Jahren überfahren worden. Schrecklich. Da geht’s sicher weiter."

Er kletterte hinauf zum Schlafzimmer. "Schon mal dran gedacht ein rundes Bett hier reinzustellen? So ein Doppelbett nimmt doch sehr viel Platz weg und ich hätte immer Bedenken in die Lücke zwischen Bett und Wand zu rutschen."

"Geht schon," antwortete ich.

"Ja sicher, ist wahrscheinlich nur eine Sache der Gewöhnung."

Er schaute sich kurz in dem Zimmer um und stapfte weiter zur nächsten Tür. Salzige Wassertropfen zogen die Spur seines Weges durch meinen Leuchtturm.

"Wahnsinn. Das ist also der Kontrollraum. Is' ja fast wie in einem Raumschiff." Ich starrte auf die Kontrollleuchten für Licht, Strom und Motor, dann sah ich den Kommissar an."

"Na gut, vielleicht nicht gerade ein Raumschiff." Er ging weiter zum letzten Treppenabschnitt. "Ganz schön stürmisch da draußen, meinen Sie, wir können da noch rausgehen. Muss klasse sein, da oben zu stehen und auf ein so aufgewühltes Meer zu blicken."

Ich nickte.

"Vor drei Monaten gab es hier keinen Sturm oder?"

"Nein."

"Hm. Aber die werden doch schon häufiger. Wegen der Klimaveränderung und so. Markt man das hier?"

Ich zuckte mit den Achseln, während er sich an der Tür zur Aussichtsplattform zu schaffen machte. Sie würde ihm vom Wind fast aus der Hand gerissen. Ich verriegelte die Tür mit dem Sicherungshaken an der Wand.

"Guter Einfall. Hier möchte man sich nicht aussperren oder?"

Ich schüttelte dem Kopf.

"Ich frage nur deshalb nach dem Wetter, weil an dem einen Tag ein Vertreter für Satellitenfernsehen hierher wollte. Der ist aber nie bei Ihnen angekommen."

"Nein." antwortete ich.

"Ja, das dachte ich mir. Sie sehen nicht viel Fern oder. Ha, ha, witzig, eine bessere Fernsicht wie hier kann man sich ja bei gutem Wetter gar nicht wünschen." schrie er gegen den Sturm an, während er sich ans Geländer klammerte.

Ich verzog die Mundwinkel zu einem gezwungenen Grinsen.

"Aber als Ihre Frau starb, da war so ein Sturm nicht wahr. Ich frage mich, was eine vernünftige Person bei diesem Wetter hier draußen macht."

Er schaute mich an und ich starrte zurück.

"Sie haben ja Recht. Ich find's Klasse hier bei Sturm zu stehen und die Gewalt der Natur auf mich wirken zu lassen. Is' ja auch nicht gefährlich oder? Wenn man sich am Geländer festhä ... Aaahhh!"

Nein, dachte ich, wenn das Geländer angeschraubt wäre, wäre es sicher.