Hier und jetzt

Der Boden schwarz-weiß gefliest. Große Fenster, hinter denen die Schneeflocken tanzten. Die Tische standen eng zusammen, aber es waren nicht alle besetzt. Auf dem Tresenstand eine alte Kasse, dahinter eine große Auswahl an Spirituosen. Ich nickte der Bedienung zu und sie lächelte zurück. Mein Blick fiel auf einen Tisch an der rückwärtigen Wand am Fenster, von wo aus man Lokal und Eingang gut im Blick hatte.

Ich legte die Margerite vor mir auf den Tisch und kam mir etwas bescheuert dabei vor. Wenigstens war es keine Rose.

Ich dachte das ganze Lokal würde mich anstarren, aber die wenigen Gäste waren mit sich selbst beschäftigt. Ich stopfte die Jacke in die Ecke beim Fenster und nahm auf der gepolsterten Bank Platz. Sieben Minuten zu früh, zeigte meine Uhr. Hätte ich versuchen sollen, pünktlicher zu kommen, sah das zu ehrgeizig aus, wenn ich hier schon saß und wartete. Aber es zu spät, um wieder aufzustehen, die Blume lag schon auf em Tisch und die Kellnerin war auf dem Weg zu mir. Sie grinste breit, vielleicht war sie nur freundlich, vielleicht war es die Margerite. Sie trug ein langärmliges schwarzes T-Shirt mit dem Logo des Lokals über der rechten Brust und einem Schild auf der Linken. Stefanie stand darauf.

„Hi,“ sagte sie. „Was kann ich Ihnen bringen.“ Sie hatte einen kleinen Block in der Hand, der Bleistift schwebte darüber.

„Ich warte noch auf jemanden.“ Sie nickte und blieb stehen, schaute mich weiter an.

„Oh. Klar. Ich komm dann noch mal wieder.“ Ich glaube, sie wurde ein wenig rot, bevor sie sich umdrehte. Ich ertappte mich, dass ich auf ihren Hintern schaute, während sie zu einem anderen Tisch ging, um zu fragen, ob dort alles in Ordnung war. Die Enden des Knotens, mit dem sie ihre gelbe Schürze geschnürt hatte, wippten hin und her, wenn sie ging.

Ich steckte meine Blume in die Vase auf de Tisch, aber die große Blüte sah neben der kleinen Rose nicht gut aus. Also landete sie wieder auf dem Tisch daneben.

Ich schaute hinaus auf die Straße. Der Schnee türmte sich am Straßenrand und die Autos pflügten durch den grauen Schlamm auf dem Asphalt. Ein älteres Paar steuerte auf die Kirche zu, die sich schräg gegenüber von meinem Aussichtspunkt befand. Ich kniff die Augen zusammen, um zu lesen, was auf dem Plakat neben der Kirchentür stand.

Ein Gospelkonzert.

Die beiden gingen vorsichtig, obwohl die Gehwege geräumt waren und nur ein wenig weiß gepudert von den frischen Flocken. Die Frau hatte sich bei dem Mann eingehakt und stellte mir vor, dass sie sich schon ein ganzes Leben kannten. Hatten sie die Karten zum Konzert von den Enkeln zu Weihnachten bekommen. Wie musste es sich wohl anfühlen, so lange mit einem und dem selben Menschen zusammen zu sein. Ob das mit mir und Denise auch funktionieren konnte? Aber ich schüttelte unwillkürlich den Kopf, wir kannten uns ja noch gar nicht, hatten einander nur ein paar Emails geschrieben.

Ich schaute die Straße rauf und runter, aber von Denise war nichts zu sehen. Ich wusste nicht einmal, aus welcher Richtung sie kommen würde. Ganz zu schweigen, davon wie sie aussah. Wir hätten uns doch ein Bild zuschicken sollen, aber ich musste sie ja unbedingt überreden, dass ich es viel spannender fand, mich überraschen zu lassen. Also Blümchen und warten auf jemanden, der ebenfalls mit Pflanze unterwegs war. Es war ein wenig lächerlich. Und romantisch.

„Was soll das denn sein?“ hörte ich es schrill vom Tisch gegenüber. Eine Frau kehrte mir den Rücken zu, sie hatte lange blonde Haare. Ihr gegenüber saß ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig. Ich war nicht besonders gut darin, das Alter zu schätzen. Er schaute etwas verzweifelt, das konnte ich deuten.

„Ich dachte, Du würdest Dich freuen,“ sagte er.

„Über einen Gutschein?“

„Du kaufst doch gern da ein.“ Antwortete er kleinlaut.

„Da wär ja ein Quirl noch ein besseres Geschenk,“ fauchte sie. „Wie sehr liebst Du mich, wenn Du Dir nicht einmal die Mühe machst, darüber nachzudenken, was ich mir zu Weihnachten wünsche.“ Sie schlug mit der Hand auf den Tisch und stand auf. Ein Stück Geschenkpapier und etwas Band blieben zurück, zusammen mit einem bunten Gutschein für eine Parfümerie. Ich schaute der Frau nach, wie sie ihren Mantel nahm und hinausstürmte. Sie kam an meinem Fenster vorbei und ich sah die Tränen in ihren Augen. Den Freund würdigte sie mit keinem Blick.

Ich schaute zu dem jungen Mann hinüber, er hatte ihr nachgesehen, wie ich, aber er war nicht aufgestanden, um ihr hinterher zu laufen. Unsere Blicke trafen sich.

„Frauen!“ sagte er.

Ich sagte nichts.

Er klaubte das Geschenk zusammen und steckte es in die Tasche. „Die kriegt sich wieder ein.“ Ich nickte nur. Dann winkte er nach Stefanie, der Kellnerin, um die Rechnung zubegleichen.

Ich schaute auf die Uhr. Es war erst fünf nach vier, das war nicht zu spät, das war ganz normal. So genau konnte man es bei diesem Wetter nicht einrichten. Wenn sie jetzt kam, könnte ich sagen, dass ich auch gerade erst gekommen war. Sie würde sich besser fühlen, weil ich nicht lange gewartet hatte. Aber, dachte ich, dann würde es aussehen, als ob ich auch unpünktlich wäre und kein Verlass auf mich. Ich schaute auf dem Fenster. Wenn die nächste Frau, die um die Ecke kam, keine Blume dabei hatte, würde ich etwas bestellen.

Als erstes sah ich die Frau, dann den Mann, aber keine Blume. Die zwei schienen zusammengewachsen im Gesicht, so wenig konnten sie von einander lassen. Sie hielten den Verkehr auf, weil sie immer wieder stehen blieben, um sich zu küssen. Beinahe wären sie gegen einen Laternenpfahl gelaufen.

Ich blickte mich nach der Kellnerin um. Mein Entschluss stand fest. Wenigstens sähe es nicht s verloren aus, wenn ich mich an einem Drink festhalten konnte. Stefanie entdeckte mich und lächelte, als sie herüberkam.

„Ja?“

„Einen Latte macchiato, bitte.“

„Nicht mehr warten?“

Ich schüttelte den Kopf. „Dann verdurste ich.“

Sie lachte kurz auf. „Kommt sofort,“ sagte die Kellnerin und kritzelte etwas auf den Block.

Die Tür ging auf und ich schaute erwartungsvoll, aber es war nur das knutschende Pärchen, das hereingestolpert kam. Sie schafften es bis zu einer Sitznische am anderen Ende des Ladens, ohne Luft zu holen.

„Die beiden brauchen was mit Strohalm,“ sagte ich leise.

„Chrr,“ machte die Kellnerin und rutschte mit dem Stift ab. Es viel ihr sichtlich schwer, die beiden zu fragen, was sie haben wollten.

„Du bist Lars?“ fragte mich eine Stimme. Ich schaute hinauf und entdeckte die Margerite, und dann weiter in Denise Augen und grinste breit.

„Denise?“ ich stand auf und reichte ihr die Hand.