Todessehnsucht (Der Cop und der Tod III)

„Aus Kanada, Ditch?“, fragte Frank, als sie auf dem Revier eintrafen. Der Tod musterte die anderen Polizisten und sie musterten ihn. Chadija lief ein schauer über den Rücken, es war als würden sich alte Bekannte überraschend begegnen.

„Ditch?“, wollte der Tod wissen?“

„Ja, Frank: Privatermittler. Ja, Peter: Hat sich so eingebürgert, nachdem ich hundert mal vergeblich erklärt hab, wie man Chadija richtig ausspricht.“

„Und nachdem Du drei Verehrer in zwei Monaten abserviert hast,“ ergänzte Frank.

Chadija fletschte die Zähne zu einem bösen Grinsen. „Hast Du keine Verbrecher zu fangen?“

„Bin ja schon weg. Und Du solltest zu Hause sein, oder? Hat der Chief Dir nicht ein paar Tage freigegeben? Tut mir leid, wegen Martin.“

Chadija ließ sich auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch fallen. „Verschwinde Frank.“

„Klar Ditch.“

Der Tod ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder.

Chadija begann, in die Tasten des Computers zu hacken. „Wo wir schon hier sind. Ich versuch’, die Akten der Hafenbehörde aufzurufen.“ Ihre Finger trommelten auf der Schreibunterlage, während sie wartete.

„Ha! Da ist sie. St. Maria, 12 m Segeljacht, registriert auf Walter Penrose.“ Sie stockte. „Und sie liegt im Hafen an Pier des Boston Sailing Center.“

„Eine andere Jacht?“, fragte der Tod.

Chadija starrte auf den Bildschirm, dann drehte sie den Monitor, damit Peter auch etwas sehen konnte und zeigte auf das Foto. „Nein, ich kenne das Boot. Ich habe Susan und ihre Freunde damit abfahren sehen.“ Sie wählte eine Telefonnummer. „Ich frage nach, ob die Daten aktuell sind.“

„Wenn Martin die Akte beim Hafenmeister gefunden hat …“, überlegte der Sensenmann.

„… dann ist er vielleicht schon auf dem Boot“, vollendete Chadija den Satz.

„Warum hat er den Hafenmeister umgebracht?“

„Das wüsste ich auch gern.“ Sie legte den Hörer wieder auf. „Da ist am Sonntag niemand. „Komm, wir müssen noch mal zum Hafen.“


Die Sonne stand schon tief über der Skyline der Stadt, als sie wieder am Wasser ankamen, eine kühle Brise wehte vom Ozean herüber.

Chadija stand vor der St. Maria, die im Wasser dümpelte. Die Wellen klatschten sanft gegen die Spundwand und die Taue knirschten. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe die Verlustanzeige selbst gesehen. Dieses Schiff gilt als gesunken.“

„Es sieht ganz wirklich aus“, bemerkte der Tod.

„Versicherungsbetrug? Aber dann muss Susan da ja mit drin hängen.“ Überlegte sie laut. „Wir gehen an Bord. Und nachher müssen wir mal mit diesem Penrose sprechen, der hat einiges zu erklären.“

Chadija hatte ihre Waffe wieder im Anschlag, als sie das Bootsdeck betraten. Es brannte kein Licht und die Fenster waren dunkel. Sie öffnete die Luke zum Unterdeck. „Unverschlossen.“ Kommentierte sie.

„Nicht Ditch“, kam eine Stimme aus dem Bauch des Bootes.

„Martin?“ sie sah ihn nicht, aber sie erkannte die Stimme ihres Partners.

„Nicht weiter. Ich werde schießen.“

Chadija blieb stehen. „Ich weiß, was - wen Du suchst.“

„Du hast nicht die geringste Ahnung, was los ist. Wenn Susan noch am Leben ist, dann finde ich sie.“

Chadija machte einen weiteren Schritt in die dunkle Kabine, dann hörte sie wie der Hahn einer Waffe gespannt wurde. „Ditch, ich meine es ernst. Das hier geht Dich nichts an.“

Sie blieb stehen.

„Martin Anders. Du musst mit mir kommen. Deine Reise ist eine Andere.“ Hörte sie die Stimme des Todes in ihrem Rücken.

„Noch nicht. Nicht bevor ich weiß, warum Susan mich verlassen hat.“

„Es spielt keine Rolle mehr, wenn Du übergewechselt bist.“

„Es spielt jetzt eine Rolle. Ich zähle jetzt bis drei, dann werde ich schießen. Eins.“

Chadija hielt ihre Position, aber sie sicherte demonstrativ die Waffe und hob die Hände. „Das muss nicht sein Martin.“

„Zwei.“

„Martin, Du hast einen Menschen umgebracht. Ich werde nicht gehen.“

„Henry war ein Unfall. Ich wollte ihn nur erschrecken, aber der Idiot musste ja auf mich zuspringen.“ Er zögerte einen Moment. „Drei.“

Der Schuss ging in die Holzdecke des Bootes. „Ich meine es ernst. Du gehst. Jetzt!“

Chadija nickte und machte einen Schritt zurück, die Treppe hinauf und stieß in den Tod.

„Wir ziehen uns zurück. Er läuft uns nicht weg.“

„Nein.“

Chadija drehte sich um und versuchte den Tod beiseitezuschieben, aber er versperrte ihr den Weg mit dem Arm.

„Hör zu. Ich weiß, wenn Martin es ernst meint. Wir waren sieben Jahre Partner. Und wenn er nichts zu verlieren hat - dann meint er es ernst.“

Sie drückte sich unter dem Arm Peters hindurch und war die Treppe hinauf, bevor der Tod nach ihr greifen konnte.

Sie hörte den Schuss, meinte sogar das Mündungsfeuer zu sehen. Vom Pier aus. Und sie spürte den Druck in der Bauchgegend, aber fast keinen Schmerz, was sie sehr merkwürdig fand.

„Schade!“, sagte der Tod.

Ihre Hände fanden die Wunde und sie hielt die blutbesudelten Finger ungläubig vor die Augen, während sie rückwärts stolperte. Sie spürte das Seil der Rehling am Bein. Sie dachte noch, was eine Rehling nutz, über die man strauchelte, dann war nur noch das eisige Wasser um sie herum und Schwärze. Die Kälte fraß sich in ihrem Körper, wie ein hungriges Tier und saugte die Wärme aus jeder Faser. Nur die Lunge brannte nach Luft und sie traute sich nicht den Mund zu öffnen und es vorbei sein zulassen. Sie wollte noch nicht sterben.


Sie hielt den Atem an, solange sie konnte. Irgendwann musste Sie Luft holen. Chadija hustete und schlug die Augen auf. Die schwarzen Kiesel drückten in ihren Rücken und das ölige Wasser machte schmatzende Geräusche, das Holz eines Bootes mischte sich hin und wieder kratzend dazu. Der Tod und Martin standen über ihr.

Der Himmel, wenn es einer war, war komplett schwarz, nur ein einzelner Stern funkelte gegen den aufsteigenden Dunst in der Ferne über dem Fluss.

„Das habe ich nicht gewollt“, sagte Martin.

Der Tod zuckte mit den Schultern und hob die Sense. „Tut mir echt leid. Ich dachte, ich könnte Deine Zukunft ändern.“

„Das kommt ja so was von nicht infrage“, rief Chadija und sprang in den Kahn, der am Ufer lag. Der erste Schwung trieb sie nur ein Stückchen auf das Wasser hinaus, aber dann hatte sie schon die Stange in der Hand und stakte voran.

„Nicht!“, schrie Martin. „Du verirrst Dich.“

„Das ist neu“, hörte sie den Tod noch sagen, bevor sie zu weit fort war. 


Sie hörte nicht auf den Kahn voranzutreiben, den Stern immer im Blick, er war der einzige Wegweiser in der Dunkelheit. Ihre Arme schmerzten, aber sie fühlte keine Müdigkeit. Ihre Gedanken kreisten um das Leben, das sie geführt hatte und all die Dinge, die sie noch vorgehabt hatte und darum, dass das doch nicht die Richtung war, in die sie wollte. Aber der Tod wartete mit seiner Sense am anderen Ufer.

Irgendwann knirschte es und Chadija verlor beinahe das Gleichgewicht, als das Boot plötzlich zum Stillstand kam.

Sie sah zurück, aber das andere Ufer war nicht mehr zu sehen. „Zwei Tage waren das aber nicht“, murmelte sie.

„So wie Du die Stange geschwungen hast. Bestimmt nicht.“

Sie drehte sich um. Den Staken als Waffe erhoben.

„Wo hast Du Deinen Tod gelassen? Ging’s Dir nicht schnell genug?“

Chadija starrte auf den durchsichtigen Mann, der am Ufer saß und zu ihr hinaufschaute. Langsam ließ sie die Arme sinken.

„Ich wollte noch nicht sterben.“

„Na, dann bist Du hier aber falsch.“

Die Polizistin schaute sich um, aber das Ufer ging nur in eine endlose Steinwüste über und der Stern war noch immer genauso klein, wie zuvor. Sie hockte sich auf den Rand des Kahns. „Als ob ich das nicht wüsste.“ Und legte den Kopf in die Hände.

Eine Weile schwiegen Sie.

„Sollten hier nicht all die Toten sein und das Paradies oder die Hölle?“

Der Geist schaute sie an.

„Da hinten vielleicht,“ er machte eine Handbewegung in Richtung Stern.

Sie sah ihn fragend an.

„Ich will noch nicht loslassen.“ Er zuckte mit den Schultern und dann lächelte er. „Was seltsam ist, so dolle war mein Leben auch nicht. Aber es gibt ein paar Erinnerungen, die ich nicht missen möchte.“ Er drückte Chadija einen Stein in die Hand.

Sie drehte den blanken Kiesel, er war glatt und schwarz und plötzlich hatte sie ein Bild vor Augen. Ein erster Kuss, das Kribbeln im Bauch. Dann war es plötzlich wieder nur ein Stein. Sie schaute hinüber in die Wüste.

„Erinnerungen, die zurückbleiben,“ beantwortete der Geist ihre ungestellte Frage. Er schöpfte mit der Hand etwas Wasser aus dem Fluss und es lief langsam durch sie hindurch. „Und das ist auch kein Wasser, es sind die Wünsche und Hoffnungen der Toten.“

„Woher weißt Du das alles?“, fragte Chadija schließlich.

„Bin schon `ne Weile hier. Plauder gern mit dem Tod, wenn er vorbeikommt.“

„Wie lange.“

Der Geist zuckte mit den Schultern. „Zu lange.“

„Wann bist Du gestorben?“

„1973. Aber die Zeit vergeht hier anders, als bei Euch.“

Chadija schaute über das Wasser und dann über die Wüste. „Ich fahr zurück.“

„Darf ich mitkommen.“

Chadija sah den Geist eine Weile still an.

„Wie heißt Du?“

„Horst.

„Ich bin Chadija. Steig ein, Horst.“