Sonnenfeuer

"Wie sieht's aus, Gerôme?" In der Schwerelosigkeit schwebte Suri nach vorn und klemmte eine frische Wasserflasche in die Halterung an der Navigationskonsole, vor der ich saß.

"Gibt es diesen Monat Brötchen?" wollte sie wissen.

Wir befanden uns im freien Fall um die Sonne, mit nur langsam abnehmendem Orbit. Aus den Lautsprechern kam klassische Musik von Johnny Cash.

"Vielleicht sogar Butter dazu." antworte ich, dann nahm ich die Flasche und gönnte mir einen großen Schluck, solange das Wasser noch kühl war. Ich habe versucht, mit einem männlichen Ingenieur zu arbeiten, aber das machte einfach keinen Spaß.

Wenn man viele Tage und Wochen unterwegs ist, bevor man wieder an einer Station andockt, braucht man jemanden an der Seite, dem man vertraut, und mit dem man gerne zusammen ist. Was liegt da näher, als diese Person auch zu heiraten - nicht zu vergessen, die Steuervorteile, die man davon hat. Und so rasten wir seit fast zwei Jahren in der Krähe durch den interplanetaren Raum. Krähen, das sind die kleinen Raumschiffe, die wir Freiberufler fliegen, um alte Raumstationen auseinander zu nehmen.

Ich kratzte mit den Fingernägeln einen Fleck vom Monitor - die Salzkruste eines Schweißtropfens. Das Bild verfärbte sich unter dem Druck.

Auseinandernehmen ist vielleicht etwas zu hart ausgedrückt, genau genommen beklauen wir die großen Konzerne, wenn Teile von alten Raumstationen und Satelliten routinemäßig ausgetauscht werden müssen. Die Unternehmen haben kein Problem damit, denn das spart ihnen die Entsorgung und wir verdienen uns ein Zubrot, wenn wir nicht sogar selbst anbieten können, kleinere Reparaturen zu übernehmen. Das spart dem Konzern die Personal- und Treibstoffkosten. Im Grunde ist das Ganze nicht ganz legal, aber wo kein Kläger ist ...

Wir waren oft genug viele Wochen lang unterwegs und versuchten den anderen Krähen bei guten Tipps zuvor zu kommen. Wenn man die richtigen Quellen hatte, konnte man ganz vernünftig davon leben.

Suri trug nur ein T-Shirt und Shorts, genau wie ich, denn es war heiß in der Mioche, so hieß unser Raumschiff, das ist Französisch für Knips und sehr passend für die Blechdose. Französisch war aber nur einer der Gründe, warum Suri auf meine Kontaktanzeige geantwortet hatte.

Die Luft war trocken und die Entfeuchter knurrten unter der Last, die Atmosphäre immer wieder durchzusieben, Keime zu entfernen und unsere Ausdünstungen zu neutralisieren. Aber heiß und trocken war angenehmer, als feuchtwarm und der Lack blätterte so schon von den Schotts. Viele Teile waren aus Kunststoff oder Verbundmaterial, zumindest um Rost brauchten wir uns keine Sorgen zu machen.

Die letzten sechs Monate liefen nicht so gut. Wir hatten einfach eine Menge Pech gehabt. Es war ja nicht so, dass man jedes Teil verwerten konnte, bei Weitem nicht. Sie mussten wenigstens soweit in Ordnung sein, dass man sie reparieren konnte, aber ob das der Fall war, erfuhr man oft erst, wenn man die Ausbeute beim Aufkäufer loswerden wollte. Der war es auch der den meisten Profit machte, wenn er die Sachen an die technologische Unterschicht verkaufte.

Dazu kam, dass unser Tippgeber in letzter Zeit immer wieder versagt hatte. Seine Hinweise waren entweder nicht exklusiv oder die Teile kaum noch zu gebrauchen. Es zahlte sich nicht aus am Informanten zu sparen, aber Suri und mir gingen langsam die Reserven aus.

Seit die Menschen die ersten Asteroiden in Erdnähe geschubst hatten, um ihre Rohstoffe abzubauen, war die Wirtschaft praktisch explodiert. Plötzlich gab es keinen Mangel mehr an zuvor seltenen Elementen. Man schickte eine Probe zum Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, und wenn er enthielt, was man suchte, pflanzte man ein Sonnensegel. Der Rest ist Physik. Ist das Segel richtig ausgerichtet, bremst der Sonnenwind den Asteroiden, alles Weitere machte die Schwerkraft der Sonne, mit dem Segel nahm man Kurskorrekturen vor. Und ein paar Jahre später gibt es eine neue Fabrik in der Umlaufbahn der Erde. Denn die Rohstoffe einfach auf die Erde knallen zu lassen macht einfach zu große Löcher. Die Umweltschützer sahen das nicht gerne.

Inzwischen kreisten die Fabriken nicht nur um die Erde, sondern auch um den Mars und man fing gerade an, die Fabriken im Asteroidengürtel zu bauen und nur noch die fertigen Produkte zu verschicken. Das heißt nicht, das die Produkte billig sind, nicht billig genug jedenfalls, dass alle an dem neuen Wohlstand teilhaben könnten. So hat sich eine Parallelgesellschaft entwickelt, die das, was sie braucht von der Oberschicht abschöpft.

Denn der Drang in den Weltraum ist universell und nicht auf die Reichen beschränkt.

Am Anfang der Entwicklung war es noch ein elitäres Hobby, sie ein Raumschiff zu nehmen und damit die Tiefen des Sonnensystems selbst zu erkunden, aber das blieb nicht lange so. Heute bekam man die Teile auf jeder Schiffswerft, und wenn es nicht so hochwertig sein brauchte, dann ging man in den Baumarkt. Nur wenn man gar kein Geld hatte, dann besuchte man die Schrottplätze, wo man sich fast umsonst bedienen konnte. Da kamen auch die Bestandteile der Mioche her.

"Was haben wir denn?" erkundigte Suri sich und hielt sich an einem Haltegriff über meiner rechte Schulter fest, um besser auf den Monitor schauen zu können.

Sie war klein, 1,58, das war ideal, wenn man nur wenig Raum zur Verfügung hatte. Die Schweißflecken auf dem Shirt, unter Achseln und am Kragen, hatten weiße Ränder. Selbst die beste Ultraschallreinigung half dagegen irgendwann nicht mehr weiter.

Wir mussten mit dem Wasser haus halten und die nächste Waschmaschine war 60 millionen Kilometer entfernt. Auf der Merkurstation, die im Schatten des Planeten den Lagrange-Punkt L2 besetzte gab es einen Waschsalon und das war auch die sonnennächste Basis, die ständig besetzt war.

Mein Hemd sah ganz genauso aus. Deshalb hing auch ein Duftbäumchen zwischen zwei Gummibändern über der Konsole. Nach einigen Tagen gewöhnt sich die Nase an beides.

Aber zurück zu Suri. Sie war Inderin, hatte mit den Bräuchen der Familie gebrochen und war vom Land geflohen. Sie hatte die Uni in Mumbai besucht und Ingenieurwesen studiert. Ihre Noten waren nicht umwerfend, aber sie hatte nicht aufgegeben und den Abschluss geschafft, nur die Jobsuche war schwierig, denn jeder wollte einen guten Job auf den neuen Außenposten der Erde.

"Solarstation. Baujahr 2142, ausgemustert 2168. Aber sie taucht erst jetzt aus der Chromosphäre wieder auf." las ich die Daten vor, die über den Bildschirm flimmerten.

Suri strich mir mit den Fingern durch die Haare und jagte mir einen Schauer den Rücken hinunter. Ich glaube sie kennt meine Reaktion auf ihre Berührung, sie ist nach all den Jahren immer noch intensiv.

Sie hatte dunkle Haut und kurze schwarze Haare, nicht mehr als ein stoppeln. Als ich sie kennen lernte, trug sie zwei lange Zöpfe, die bis zu ihrem knackigen Hintern reichten. Den Hintern sah ich jetzt oft genug unter den Shorts, aber die Haare vermisste ich. Suri hatte die Zöpfe gegen einen Satz Dichtungen eingetauscht, sonst wären uns die Ionenbeschleuniger schon um die Ohren geflogen.

Suri war pragmatisch. Wenn im Weltraum mit begrenzten Ressourcen, dann kamen die Haare eben ab. Sie sagte, die würden wieder wachsen, wenn ... Aber sie beendete den Satz nie.

Dieses "wenn", der Traum jeder Krähenbesatzung irgendwann den großen Treffer zu landen und sich zur Ruhe setzen zu können, vielleicht in den Gärten auf Io. Wo es so viel Wasser gab, dass man darin baden konnte, und dank der Energiestrahlen von der Sonne genug Energie, um riesige Gewächshäuser zu versorgen. Ganz zu schweigen von der reinen Luft, wie man sie oft nicht einmal mehr auf der überbevölkerten Erde fand.

Ich musste mich von den Gedanken losreißen, ich hatte Suri nicht gezwungen, mit zu kommen, es war ihre Entscheidung gewesen, dieses Leben zu führen und ich war dankbar, dass sie es mit mir tat.

Solarstationen waren unsere Spezialität. Nur wenige Krähen trauten sich an diese gefährliche Aufgabe, aber das machte es auch sehr lukrativ. Mit dem Abbau der Asteroiden war das Rohstoffproblem gelöst, aber nicht der Energiehunger, der weiterhin exponentiell anstieg. Sicher hätte man größere Elektrovoltaikanlagen bauen, oder ein paar Fusionsreaktionen anfeuern können. Aber warum sollte man diesen Aufwand treiben, wenn die Sonne, mit ihrer schier unerschöpflichen Energie, gleich nebenan darauf wartete, angezapft zu werden.

Also baute man 2109 die erste Solarstation und ließ sie in die 10.000 Kelvin heiße Chromosphäre fallen. Sie lieferte in den drei Tagen, bis sie ihren Dienst einstellte, mehr Energie, als ein Solarpanel von der Größe des Atlantischen Ozeans in einem ganzen Jahr. Die in den folgenden Jahren entwickelten Solarstationen waren robuster, und tauchten ihre 1.000 Kilometer langen Nanodrähte noch tiefer in die Sonne, saugten die Hitze auf und wandelten sie in Mikrowellenstrahlung um.

Sicher gingen dreiviertel der Energie verloren, wenn sie per Maser in Richtung Energierelais geschossen wurde, denn die beste Kohärenz franste nach einigen Millionen Kilometern aus. Wen kümmerte das, die Energie war hoch konzentriert und das Mikrowellenspektrum konnte mit einer Effizienz von 90% in elektrische Energie umgesetzt werden. Die Relais verteilten die Energie im Sonnensystem auf die Stationen, die sich überall zwischen Merkur und den Monden des Saturn befanden. Und sie versorgten auch die Raumschiffe, die zwischen den Planeten herumflitzten. Denn je mehr Energie zur Verfügung stand desto weniger Materie musste durch die Triebwerke gejagt werden. Wer es sich leisten konnte abonnierte einen Tracker und ließ sich direkt von den Relais beliefern.

Die Nanodrähte einer Solarstation halten den thermischen Stress nur ein paar Jahre aus, dann schrumpeln sie zusammen und die Effizienz sinkt, aber Transmitter und Hitzeschild sind dann oft noch gut zu gebrauchen, ganz zu schweigen von den gegen die Strahlung gehärteten Computerkomponenten. Mit ein wenig Glück konnten wir aus dem Trümmer, der sich als kleiner Punkt auf dem Radarschirm abzeichnete ein paar Monate sehr gut leben.

"Wir tauchen in sieben Tagen in die Korona ein. Kontrollier doch bitte nochmal die Integrität des Hitzeschilds und die Hitzetransferkabel," bat ich Suri. Und konnte meinen Blick nicht von ihrem Profil abwenden, während sie konzentriert die Anzeigen überflog.

Unser Kurs würde uns noch etwas höher über die Sonne bringen, so dass wir dann direkt über der Solarstation abtauchen und in ihrem Schatten absteigen konnten. Es war relativ windstill und Flares waren in dieser Region zur Zeit nicht zu erwarten. Sagte jedenfalls der Wetterbericht und der traf mit einer längjährigen Vorhersagequote von 78% ganz gut zu.

"Is' doch alles schon erledigt. Gerôme. Sämtliche Systeme laufen so gut, wie das für diese Klapperkiste zu erwarten ist. Außerdem habe ich den Fehler in der Nasszelle gefunden, das Energierelais war durchgebrannt."

Ich zuckte bei diesen Worten zusammen, aber Suri hatte natürlich völlig Recht. Diese Krähe war ein Sammelsurium von Teilen, die wir hier und da ausgebaut und an den Rumpf geflickt hatten. Auf der einen Seite das Schild gegen die Hitze, für einen Rundumschutz hatte es bisher nicht gereicht, so mussten wir der Sonne immer schön die Steuerbordseite zuwenden, wenn wir uns keinen Sonnenbrand holen wollten. An Backbord befand sich ein Cluster aus Hitzetransferdrähten, ganz ähnlich wie die der Solarstationen, nur dienten diese dazu, Wärmeenergie vom Schild abzutransportieren und in den Weltraum zu strahlen, jeder Draht anderthalb Kilometer lang. Wir hatten 112 Stück davon, die wir wie ein Haarteil mit uns zogen.

"Tut sie jetzt wieder?" wollte ich wissen. Die Nasszelle war nicht mit einer Dusche zu vergleichen, wie man sie auf den größeren Stationen genießen konnte. Es war ein Rüssel, aus dem in der Mitte Wasser mit Reinigungsmittel kam, das am Rand gleich wieder abgepumpt und recyclet wurde. Nicht sehr sinnlich, aber Wasser sparend und effektiv.

"Das einzige Relais das passt, habe ich im CO2-Schrubber gefunden."

Mit dem Schild und den HT-Drähten sah unsere Krähe aus wie eine Qualle, die sich seitwärts durch das Meer des Weltraums bewegte. Aber das Aussehen spielte keine Rolle, wichtig, war, dass das Bergungsraumschiff seinen Zweck erfüllte, dass wir den Hanger vollstopfen konnten und ein gutes Geschäft machten, wenn wir die Teile verscherbelten. Die großen Konzerne hatten kein Interesse daran, verkauften lieber neue Sachen, an diejenigen, die sich das leisten konnten. Es gab jedoch genug Menschen, die nicht so viel Geld übrig hatten und trotzdem am neuen Zeitalter teilhaben wollten. Sie waren es, die die alten Komponenten gerne nahmen und ihre eigenen Raumschiffe und Stationen daraus bastelten. Die Merkurbasis war eine solche. Flickwerk, und trotzdem war sie mir lieber, als die sterilen Komplexe, die im Erdorbit dümpelten.

"Also entweder Duschen, oder Atmen?" wollte ich wissen.

"Ich borge mir jetzt das Relais und wasch mich. Für ein paar Stunden wird die CO2-Konzentration noch nicht gefährlich werden."

Ich nickte, das war ein guter Kompromiss.

Ich hatte lange gespart, um mir die Mioche zulegen zu können. Jetzt nach fünf Jahren gehörten immer noch 85% der Bank. Anders ausgedrückt, der Ansaugstutzen des Steuerbordtriebwerk war meins - unseres.

Plötzlich beugte sich Suri tiefer über meine Schulter.

"Und das soll ein Geheimtipp sein?" Suri drückte ein paar Knöpfe und der Bildausschnitt veränderte sich. Unter und hinter uns war eine andere Krähe zu sehen, nur ein Schatten im Infrarotbild, denn die reflektierende Außenhaut warf fast das ganze Spektrum des Lichts wieder zurück. Ich erkannte die Form sofort, ein eiförmiges Halbschild von 700m länge mit extra langen HT-Drähten. Es gab es nur ein Schiff und einen Menschen, der so ausgestattet war. Frank Burns mit seiner Gertrud. Der Typ, der uns schon seit einem halben Jahr immer einen Schritt voraus zu sein schien.

Die Gertrud war eine Sonderanfertigung, speziell für Burns entworfen und gebaut. Er war irgendwann zwischen den Krähen aufgetaucht und gab seine Vergangenheit nicht preis. Man munkelte er sein ein Millionär, der die Nase voll hatte und wie wir im Dreck wühlen wollte.

"Nein. Verflucht." rief ich und schlug mit der flachen Hand auf die Konsole. Funken sprühten und der Bildschirm wurde schwarz. Suri trat mit dem Fuß von der anderen Seite gegen die Konsole, während sie ihren Körper mit den Händen an den Haltergriffen stabilisierte. Mehr Funken, aber der Monitor flimmerte wider ins Leben.

Sie begann schnell einige Tasten zu drücken. "Frank fliegt viel tiefer, als wir, so erreicht er die Station zwei Tage vor uns.

"Mist. Wie sieht's aus, wenn wir den direkten Weg nehmen?"

"Ohne den Schildschatten ist das eine ziemliche Belastung für unsere HTDs." Sie tippte neue Kursdaten in den Computer. "Aber wir könnten eine 10 bis 20 Stunden vor Frank da sein, selbst wenn er die Bremsraketen extra spät zündet."

"Das genügt. Wer zuerst andockt, hat das Bergungsrecht." und rieb mir die Hände. "Diesmal behalten wir die Oberhand."

"Das wird ein Spaß." grummelte Suri, aber sie lächelte dabei. Ich schaute ihr nach, wie einen Salto machte und in die Eingeweide unseres Schiffes tauchte, es würde ganz schön warm werden in den nächsten Tagen.

Ich ließ den Monitor die Integrität des Quantenspiegels anzeigen. Der Sonnenwind hatte ein paar Löcher hineingeschlagen, aber waren bereit so weit wieder zugewachsen, dass wir es wagen konnten, in die Korona einzutauchen. Neben den HT-Drähten war der Quantenspiegel eine der wichtigsten Erfindungen im letzten Jahrhundert, er reflektierte das gesamte elektromagnetische Spektrum und damit auch die Wärmestrahlung der Sonne und zwar mit einer Effektivität von nahezu 100%. Nahezu, war allerdings so nah an der Sonne nicht gut genug, deshalb brachten wir zusätzlich die HT-Drähte zum Glühen.

"Triebwerke sind zündbereit." Melde sich Suri über die Bordsprechanlage. Wir waren noch nicht dazu gekommen, die Statusdaten des Ionentriebwerks in den Navigationscomputer zu routen, deshalb musste immer jemand in den Lagerraum, wo das Triebwerk angedockt war.

Ich berechnete die Zündvorgänge für die Kursänderung und gab die Zeiten und nötigen Leistungswerte per Bordfunk an Suri weiter, die sie in die neue Maschine eingab.

Das zweite Haupttriebwerk ließ sich von meiner Konsole aus lenken. es war nicht so leistungsfähig, wie das Neue, aber es verfügte über Vektorschub, damit ließ sich der Kurs trotzdem halten.

Suri war es gewesen, die gedrängt hatte, das Dock zu verlassen, obwohl die Verkabelung noch nicht angeschlossen war. Sie meinte wir könnten uns die Liegezeit nicht leisten, schon gar nicht, wenn wir gerade die letzten Kreditreserven für etwas mehr Power verpulvert hatten. Sie hatte natürlich Recht. Suri hatte auch behauptet, sie könne die Datenleitungen während des Fluges anschließen. Wahrscheinlich hätte das funktioniert, wenn uns die Nasszelle nicht um die Ohren geflogen wäre, die Fehlersuche da hatte natürlich Priorität.

Zur festgelegten Zeit zündeten beide Triebwerke synchron. Ich spürte, wie sich der Schub aufbaute. 0,25 G, der helle Wahnsinn!

Ionentriebwerke schießen das Raumschiff nicht mit irrwitziger Beschleunigung durchs All. Ihre Stärke liegt darin, dann sie mit wenig Materie auskommen und den Schub über lange Zeiten aufrecht erhalten können. Sie beschleunigen geladene Teilchen in einer linearen Kaskade, so dass sie nach 300m ganz nahe an der Lichtgeschwindigkeit sind. So brauchte man wenig Stoff und viel Energie. Und Energie hatten wir her, gleich neben der Sonne mehr als genug.

Dann ging das Licht aus.

"Was soll das denn jetzt?" Schrie ich in die Dunkelheit. Es war völlig schwarz in der Mioche. Der Strom war weg und die Schwerelosigkeit hatte uns wieder.

"Verdammte Energiekupplung!" hörte ich Suri fluchen.

Ich fummelte an der Klappe unter der Konsole, bis das Schloss klickte und tastete nach den Knicklichtern. Das chemische Licht hüllte die Kanzel in ein unwirkliches grünes Licht. Mit zwei Handgriffen hatte ich den Navigationscomputer von der Hauptleitung getrennt und die Batterie angeschlossen, die für genau solche Notfälle unter meinem Sitz lagerte.

Der Rechner brauchte nur ein paar Sekunden, um hochzufahren ohne Sensordaten beruhten seine Berechnungen nur auf den Daten, die vor dem Stromausfall noch gespeichert worden waren.

"Unser Zeitfenster!" rief ich.

"Schnauze!" kam es zurück.

Ich zuckte mit den Achseln. Wenn Suri mit beiden Armen in den Eingeweiden des Schiffes steckte, duldete sie keine Ablenkung. Ich sah in ihr immer die kleine Inderin und vergaß, dass sie drei Jahre auf dem Mars-Shuttle gedient hatte, bevor das ewige Gependel zwischen Mond und Phobos ihr auf die Nerven ging und sie sich mit dem Chef anlegte. Sie flog raus, schlug sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durch - denn mit der mächtigen Shuttlegesellschaft der größten erdfernen Kolonie legte an sich nicht an - und las irgendwann meine Anzeige im Stellaranzeiger.

Abenteuer war genau, was sie suchte und noch hatte sie nicht die süße Nase voll von mir. Wenn sich das Glück uns wieder zuwandte würden wir mit der Mioche noch einige gute Jahre haben, bevor sie auseinanderfiel. Ohne Glück warteten schon die H3-Gasminen auf Saturn auf uns.

Dann ging das Licht wieder an. Und nur einen Moment später war der Schub wieder da. Die Navigation wertete die neuen Sensordaten aus und wir lagen noch gut auf Kurs.

Suri kletterte an den Haltegriffen hinauf zu mir. Hinten ist bei einem Raumschiff immer, wo der Schub herkommt.

"Der Energiesog war zu groß, das hat nacheinander Primären, sekundären und tertiären Bus überlastet."

Ich nickte. Wir hatten das getestet, aber auf dem Weg vom Merkur zur Sonne lief die Klimaanlage noch nicht auf Hochtouren, so wie jetzt.

"Welche Systeme?"

"Nur die Quantenreparatur des Schilds. Ich habe sie um 5% reduziert."

Sollte jetzt etwas Größeres als ein Atom in den Schild krachen, würden wir die Aktion abbrechen müssen, aber aus Richtung Sonne war das unwahrscheinlich, wenn wir nicht gerade durch einen Materieausstoß flogen. Und wenn wir das taten, würden wir es auch nicht merken, bevor wir braun und knusprig waren.

Ich zog Suri zu mir heran und gab ihr einen Kuss. "Du bist die Beste Ingenieurin, die ich je hatte."

"Ich weiß." antworte sie.

Das Schild war wie ein großer Teller auf der sonnenzugewandten Seite. Ein echter Glücksfall, dass ich es in so gutem Zustand im Schiffsfriedhof von Deimos entdeckt hatte. Ich lötete drei Module an das Schild, eines für die Navigation, eine Kammer für die Betten und ein etwas Größeres als Lagerraum für Transporte und Beutestücke. Die Module lagen wie zwei Rosenkohlköpfchen und eine große Kartoffel auf dem Teller und die HT-Drähte wuchsen aus ihrer Mitte. Die Ionentriebwerke zu beiden Seiten und noch ein paar Steuerdüsen, wo Platz war. Davon gab es noch genug, denn die Module nahmen zusammen nur ein Viertel des Platzes auf dem Schild ein. Das kam uns jetzt zu gute, denn wir konnten steiler abtauchen, ohne dass die angeflanschten Komponenten ins Licht ragten.

"Und die einzige." fuhr ich fort.

Sie schubste mich und lachte, als der Stoß sie selbst abheben ließ, denn ich war angeschnallt, Suri nicht. Ich grinste sie an.

Die folgenden drei Tage verliefen ereignislos, aber die Temperatur stieg langsam an. Je tiefer wir abstiegen, desto kleiner wurde der Temperaturgradient an den HTDs. Je kleiner der Temperaturunterschied an den Enden wurde, desto mehr sank die Effektivität der Drähte. Nur ein paar Promille bisher, aber der Energiefluss lief ohnehin schon an der Grenze dessen, was unsere Sicherungen aushielten. 37 °C konnten wir aushalten, einen weiteren Energieausfall vielleicht nicht.

Ich lag in dem kardanisch aufgehängten Bett, das sich unter dem stetigen Schub gegen die Fahrtrichtung gedreht hatte. Es war angenehm selbst mit wenig Schwerkraft zu schlafen. In der Schwerelosigkeit musste man sich immer anschnallen, daran hatte ich mich in all den Jahren nicht gewöhnen können. Im Augenblick hatten wir nicht einmal die Haltenetze angelegt. Suri lag neben mir. Für ein paar Stunden wollten wir darauf vertrauen, dass alle Systeme ohne Probleme laufen würden.

Der Alltag im Weltraum war nicht so aufregend, wie man sich das vielleicht früher einmal vorgestellt hatte. Die Systeme waren weit gehend ausgereift, wenn man sie in Schuss hielt, war alles bestens.

Es hatte sich eine Routine eingeschlichen. Systeme prüfen, Kursdaten korrigieren, Wetterbericht ansehen, Systeme Prüfen. Schlafen, Essen, miteinander Schlafen.

Sex im All war ohne Schwerkraft harte Arbeit und wenn sich das Blut im Bauch sammelte half kein Viagra, sondern nur noch Vakuum und man musste sich festbinden, dass es fast in Richtung Bondage ging. Aber mit etwas Schwerkraft durch den Triebwerkschub machte es wieder Spaß.

Ich küsste Suri auf die Stirn und sah sie im Schein des Notlichts lächeln.

Der Alarm ließ mich aufschrecken. Ich stieß mir den Schädel an der niedrigen Decke, das würde eine Beule geben. Dann bekam ich einen Griff zu fassen uns stabilisierte meine Position.

"Atmosphäre." Suri war schneller wach, als ich. Sie strampelte die Decke beiseite und sprang, nur mit dem Höschen bekleidet aus der Koje. Ich kletterte hinterher und mühte mich ab, die Shorts wieder anzuziehen, ganz nackt wollte ich nicht nach dem Leck suchen. Der Alarm signalisierte einen Druckverlust, aber jetzt mussten wir das Leck erst mal finden.

"Hier." Suri drückte mir einen Sack Kakerlaken in die Hand und schüttete einen zweiten in der angrenzenden Kammer aus. Keine echten Insekten natürlich, unsere Krabbeltiere waren mit Sensoren ausgestattete Kleinstroboter, die Lecks und giftige Gase aufspüren konnten. Die beiden Säcke waren nicht billig gewesen. Aber besser sie fanden ein Loch, bevor man eine Sektion abriegeln musste, weil man bei das Loch nicht gefunden hatte.

"Mist." es konnte trotzdem Stunden dauern, bis alle Schweißnähte gecheckt waren. Gerade kleine Lecks waren viel schwieriger zu finden, als größere. Und zu allem Überfluss quäkte auch noch eine Stimme aus den Bordlautsprechern.

"Hallo, da drüben. Fällt eure Kiste noch nicht auseinander?" Frank Burns. Ich erkannte die Stimme trotz der schlechten Qualität und de Pfeiftöne, welche Unterbrechungen im Datenstrom kennzeichneten. Wir mussten nahe genug sein, dass sein Kommunikationslaser uns erreichen konnte.

Ich hielt den Sprechknopf gedrückt. "Ich komm da gleich rüber Du Schmarotzer."

"Ha, ha ... griiehk ... ha." Lachte Burns zwischen abbrechenden Signalen. "Sagt bescheid, wenn ich schieben soll."

Ich schaltete die Sprechanlage auf interne Kommunikation. Kein Grund, dass wir uns jetzt auch noch von Burns provozieren ließen.

Suri warf mir ein Paket gefrorene Erbsen zu. Keine Chance, dass wir den Kühlschrank abschalten würden, um die Energieleitungen zu schonen, da war noch Vanilleeis drin.

"Danke, Suri." Sagte ich und drückte mir die Erbsen an den scherzenden Kopf."

"Nicht für Dich. Die Patches sind alle." Sie deutete auf eine Schweißnaht nahe am Schott. "Da ist das Leck. Wenn die Erbsen weich werden, ist es dicht."

Während ich die Erbsen mit Panzerband fixierte, schaltete Suri den Alarm auf Standby, er würde erst wieder anspringen, wenn der Druckabfall sich in den nächsten Minuten nicht stabilisierte.

"Was wollte Burns?" fragte sie.

Ich zuckte mit den Schultern und hob dabei fast vom Boden ab. "Nur Hallo sagen, vermute ich."

Suri wechselte wieder den Modus der Bordkom, aber es war alles ruhig da draußen. Burns schwieg.

"Der Druck ist wieder stabil." verkündete ich, nach einem Blick auf die Instrumente und einem auf die Erbsen. Zu schade, so viel Tiefgefrorenes hatten wir nicht mehr. Eine weitere Tubenmahlzeit für Suri und mich.

Die Solarstation kam am fünften Tag in Sichtweite der optischen Sensoren. Nur ein kleiner dunkler Schatten über dem gleißenden Weiß der Sonne, das so hell war, dass es die Fotodioden übersteuerte. Schwarze Punkte tanzten durch die weißen Bereiche. Zeit die Mioche zu drehen und den Bremsvorgang einzuleiten.

"Durch den Stromausfall vor drei Tagen haben wir Zeit verloren. Burns ist nur höchsten zwei Stunden hinter uns, wenn wir andocken." Überlegte ich laut.

"Ich könnte den Materiedurchschuss der Triebwerke noch etwas frisieren, aber wir verbrauchen unsere Ionenreserven, so tief in der Korona ist das Plasma zu heiß, um es einzusammeln."

"Nein, Suri. Lass mal. Ein laufendes System soll man nicht anfassen."

Sie schnaubte verächtlich und rümpfte die Nase. Ich würde sie gern öfter ärgern, nur um das zu sehen, aber ich traute mich nicht. Unsere Mioche würde es nicht verkraften, wenn Suri wütenden in den Kabeln herumriss.

Die Temperatur lag jetzt bei 41°C und ich wischte mir mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn. Ein T-Shirt trug ich schon seit Tagen nicht mehr und außer der Unterhose Sandalen nur deshalb, weil einige Oberflächen zu kochen schienen - Wärmebrücken zur Außenhaut, deren Temperatur trotz Schild bei einigen hundert Kelvin liegen musste. Auch Suri trug nur noch BH und Slip. Wir brauchten jedes quäntchen Energie, das wir sparen konnten. Sogar die Kühltruhe war jetzt aus und das Eis verspeist. Es wurde Zeit, dass wir andockten und im Schatten der Station etwas auskühlen konnten, bevor wir uns auf den Rückweg machten.

"Burns hier."

Ich wollte schon abschalten, aber Franks Stimme hörte sich ernst an.

"Was?"

"CME. Nur 20 Megatonnen, aber euer Kurs geht..." Seine Warnung vor der Corona Mass Ejection ging im statischen Rauschen unter.

Suri war bereits dabei, Sonnenoberfläche zu scannen. Ich bewunderte, wie sie immer alles im Griff zu haben schien. "Instabilitäten im Magnetfluss." Bestätigte sie. "Klein, nah unserer Nachweisgrenze."

Kein Wunder, dass der Wetterbericht nicht davor gewarnt hatte.

"Wahrscheinlichkeit 60%, dass wir was abkriegen." las sie die Anzeigen ab.

Ich wollte auf die Konsole schlagen, aber hielt mich zurück.

"Das wird selbst mit Vollgas knapp." wandte sich Suri an mich. Sie hatte völlig Recht, unter diesen Umständen war die Solarstation nicht mehr wichtig. Sie würde durchgeschüttelt werden, aber überleben. Die Mioche sicher nicht.

"Ich setze mich unter euch. In meinem Schatten kommt ihr hier raus." Meldete sich Burns wieder. Ich hätte ihm fast eine undiplomatische Absage an den Kopf geworfen. Statt dessen sah ich zu Suri hinüber, sie nickte nur.

"Schick uns Deine Kursdaten, dann gehen wir synchron."

"Gute Entscheidung." Frank hätte noch mehr sagen können. Ich war froh, dass er es nicht tat.