Taschen voller Licht

Es war bitterkalt im Wald von Gorandor und die Sonne kroch den ganzen Winter kaum mehr als eine Handbreit über den Horizont. Selbst zur Mittagszeit konnte man die Sterne sehen. Der Wind fauchte in den kahlen Ästen und der gefrorene Schnee knirschte unter den Füßen Jors. Er trug den Langbogen über dem Rücken und hatte die Taschen voller Licht.

„Wie bitte?“

Jor hatte die Taschen voller Licht für sein Dorf, damit es Schutz haben würde vor den Schatten des Winters, welche die Dörfer ohne Licht heimsuchten und das Vieh stahlen.

„Taschen voller Licht? Bist Du irre. Das ist doch heiß.“

Das sind keine Hosentaschen, vielleicht ein Rucksack oder so …

„Und da brennt sich das Feuer nicht durch?“

Nein tut es nicht, denn der Rucksack ist mit Asbest ausgekleidet.

„Oh klar. Ich fang gar nicht erst damit an, was für eine dumme Idee das das ist.“

Darf ich jetzt meine Geschichte weitererzählen.

„Klar Mann, mach weiter. Ich dachte nur, ich hätte ein Wörtchen mitzureden.“

Du bist mein Protagonist und machst, was ich sage.

„Potago-was?“

Der Held der Geschichte.

„Das hört sich schon besser an. Erzähl weiter.“

Danke! Der Weg war lang gewesen und schon bald würde die Nacht hereinbrechen, für viele kalte Stunden. Jor musste schnell einen Platz finden, um ein Lager aufzuschlagen, aber überall lag Schnee, der Jor bis an die Waden reichte, an manchen Stellen bis zu den Knien.

„Brr. Was hab ich denn eigentlich an?“

Gar nichts, wenn Du mich noch einmal unterbrichst.

„Hoppla, sind wir etwas gereizt heute? Aber mir fallen gleich die Ohren ab.“

Jor zog die Kapuze seiner Felljacke hoch und war dankbar für das Jagdglück, das ihm diese Sachen beschert hatte. Er hatte das Rentier selbst erlegt und abgezogen, das Fell gegerbt, Jacke und Hose daraus genäht. Er war ein guter Jäger.

„Das gefällt mir.“

 Endlich fand er einen Platz bei dem Stamm eines großen Baumes. Die breiten Wurzeln schützten vor dem Wind und dicht am Stamm war eine Stelle frei geblieben von Schnee und Eis. Jor nahm eine winzige Messerspitze Licht aus dem Rucksack. Sofort war es hell und warm. Der Krümel würde für die ganze Nacht genügen, die wilden Tiere fernhalten und auch die Winterschatten.

„Aber bestimmt ist der Schein weit zu sehen. Is’ das ’ne gute Idee?“

Jor war stumm und konnte nicht sprechen.

„Mhmmm, hm Mhmmm.“ [Aufstampfen] „Mhmmm, hm Mhmmm.“

Na gut, er kann reden, aber er war eher der schweigsame Kriegertyp und machte nicht viele Worte.

„Puh. Danke. Ich dachte einen Moment, Du ziehst das durch.“

Hallo! Schweigsam! Nicht viele Worte!

„Zipp! Schon klar! Hab verstanden!“

Die Nacht brach herein und Dunkelheit senkte sich über das Land. Der Wind raschelte in den kahlen Ästen, aber Jor schlief fest, müde von der langen Wanderung. Dicht gekauert um den kleinen Funken.

[Christiane klaut Knicklicht.]

Ein Heher schrie sein „Kuk-kuk-kuk“ in den frühen Morgen hinaus und weckte den Jäger unter dem Baum. Das Rot des Himmels kündigte den kommenden Tag an, auch wenn die Sonne ihrem Licht erst in Stunden folgen würde. Jor schlug die Augen auf und schüttelte sich vor Kälte. Hatte er sich verschätzt mit der Größe des Funkens, war er schon in der Nacht verbraucht gewesen.

[Kopfschütteln]

Jor griff nach dem Rucksack. Eine böse Ahnung. Er war fort.

„Oh Mist.“

Alle Hoffnung für sein Volk verloren, die Schatten würden sie überrennen, wenn die geringen Vorräte aufgebraucht waren. Dieser Winter war einfach zu kalt gewesen, zu lang. Wütend hieb Jor mit der Faust nach dem Bau, das das Holz splitterte und seine Knochen schmerzten, aber das brachte seinen Schatz nicht zu zurück.

Jor sah sich um. Es hatte nicht geschneit in dieser Nacht, es war zu kalt dafür. Die Spuren des Diebes waren klar zu sehen. Sie näherten sich von Süden und verschwanden Richtung Westen. Und die Abdrücke waren nicht alt. Der Schnee unter dem geborstenen Firn noch nicht überfroren, die Kanten klar.

Jor stapfte hinterher. Mit großen Schritten. Seine Beine waren länger als die des Diebes, er würde ihn am Nachmittag einholen, da war er sicher.

„Wow! Ich bin wirklich gut was?“

Klappe halten!

Tatsächlich. Die Sonne war gerade dabei wieder unter den Horizont zu sinken, da entdeckte Jor die Figur zwischen den Bäumen. Sie versuchte schnell zu gehen, aber im tiefen Schnee kam sie nur langsam voran.

Auch Jor hatte seine Schwierigkeiten, an Stellen sank er bis zu den Oberschenkeln in die Schneewehen, aber er hatte seine Kräfte gut eingeteilt und kam rasch voran.

„Machs nicht so spannen. Darf ich endlich draufhauen?“

Jor beobachtete die Bewegungen des Diebes und sah die Erschöpfung darin. Der Flüchtende strauchelte. Einen Moment dachte er daran den Bogen zu nehmen, aber nur drei Pfeile waren ihm geblieben und er könnte auch den Rucksack treffen.

Der Abstand verringerte sich schnell. In dem Augenblick, als der Feuerrand der Sonne hinter den Bergen versank, packte Jor den Rucksack.

Der Dieb wand sich aus den Gurten, aber bevor er einen Schritt machen konnte, hatte Jor ihn schon mit der anderen Hand an der Kapuze gepackt.

„Was fällt Dir ein, mein Licht zu klauen“, rief Jor wütend und riss die ihn zu sich herum. Sein Atem stand in der kalten Luft.

„Hey, das ist ja ein Mädchen.“

Schwarze Haare quollen unter der Kapuze hervor und große braune Augen starrten in das zornige Gesicht des Kriegers. Jor hob die Faust.

„Nein vergiss es! Das Kind tut mir leid.“

[Christiane:] „Bitte nicht. Meine Eltern. Unser Licht, es wird nicht reichen für den Winter. Als ich Dein Licht sah … Es tut mir so leid.“ Flehte das Mädchen - mit Tränen in den Augen.

Was interessierte das den Krieger, er hatte sein Volk zu retten. Das Kind hatte sie alle in Gefahr gebracht. Er nahm den Rucksack und stieß das Mädchen in den Schnee. Es weinte still, aber stand nicht wieder auf.

„Nein, sag ich! So ein Held will ich nicht sein: Jor zog das Kind auf die Füße. Und sprach: ‚Ein paar Mäuler mehr wird mein Dorf versorgen können. Wir holen deine Familie. Ihr kommt mit mir.’

So! Da hast Du’s!“

[Der Autor zuckt mit den Schultern.]